23 Stunden Spiel und Spül in 44

Der »Tiefpunkt« der Saalestraße ist überschritten

Die nach dem schönen Fluss Saale benannte Straße, die entlang der Ringbahn die Sonnenallee mit der Karl-Marx-Straße verbindet, ist trotz Grün und gepflegter Altbauten nicht unbedingt eine Prachtstraße. Busse und Pkw quetschen sich täglich hindurch, der S-Bahndamm ist vermüllt, und im Wahnwitz der Nazis, Berlin zu Germania umzubauen, wurden 1939 zwischen KMS und Elsterstraße alle Vorderhäuser der Saalestraße 1 bis 24 abgerissen, was sich bis heute an Brachen zeigt, die aber nun zum Teil für Sportanlagen genutzt werden. (Bis 1942 vernichteten die irren Germania-Planer übrigens insgesamt 41.000 Berliner Wohnungen.)

IMMER da für 44er. Foto: hlb

Historisches Flair hat der Siegfried-Aufhäuser-Platz gegenüber dem S-Bahnhof Sonnenallee. Dieser wurde 1912 nahe der Kaiser-Friedrich-Straße (heute Sonnenallee), gebaut nach Plänen von Reinhold Kiehl, eröffnet – seinerzeit noch benannt nach Friedrich III., dem »99-Tage-Kaiser« von 1888. 1961 zerschnitt die Berliner Mauer den S-Bahnring in zwei Teile, die Nationale Volksarmee unterbrach die Gleise, und damit war auch der Bahnhof Sonnenallee geschlossen. Nach dem Mauerfall 1989 begannen die Bauarbeiten zur Wiederherstellung des Südrings, doch erst im Dezember 1997 wurde der S-Bahnhof als Station wiederhergestellt.
Hier lässt sich heutzutage in der pittoresken Flammerie und Bar »Hugo Ball« hervorragend Flammkuchen essen, im »Das Pi« Holzofenpizza knuspern oder bei den »Geschwistern Nothaft« nachhaltiger Kaffee und Kuchen genießen. Zwei Blöcke weiter, an der Kreuzung, wo die Niemetzstraße unter den Bahngleisen zum Gewerbegebiet des Neuköllner Unter- und Oberhafens führt, befand sich seit den 80ern die legendäre, wohl auch nach dem Gemütszustand mancher Gäste benamste Eckkneipe »Tiefpunkt«, bekannt als günstige Schwemme, Raucherhimmel und Dartspielertreffpunkt samt Liga- und Turnierspielen sowie für seine diversen Spielautomaten.
Im September 2021 hat ein junges Team den Laden übernommen und als »ZweiMalVier«, benannt nach der alten Nummer des Neuköllner Zustellpostamts 44, wiedereröffnet. Das Interieur ist weitgehend geblieben, ebenso zwei Dartautomaten und andere Spielgeräte wie ein Kicker oder gar eine Box-Maschine. Dafür zeugen Sprühdosen im Fenster, bunt besprayte Wände und die schwungvoll beschrifteten Getränketafeln davon, dass es sich nun um eine »Graffiti Kneipe« handelt. Alt-Neuköllner treffen hier auf die neue, junge Kiezgeneration, Oldies auf HipHop – vereint durch die freundlich-gemütliche, generationenübergreifend anheimelnde Atmosphäre, die Möglichkeiten sportlicher Kurzweil, auch durch Übertragungen auf die große Leinwand, und eine klasse Getränkeauswahl zu fairen Preisen, etwa das Hausmarke-Bier für kaum schlagbare 2,50 Euro pro 0,5 Liter, herrliches fränkisches Bio-Kellerbier vom Fass, etliche bayerische Craft-Biere, aber auch nicht alltägliche Softdrinks. Alltäglich sind allerdings die Öffnungszeiten: Zwischen 11 und 12 Uhr vormittags wird durchgeputzt, ansonsten ist immer geöffnet! So wird die Saalestraße dank des »ZweiMalVier« zum verlässlichen Ziel für Durststillung und Geselligkeit Suchende zu jeder Tages- und Nachtzeit.

hlb
ZweiMalVier – Neuköllner Graffiti Kneipe, Saalestr. 29, tgl. 12 – 11 Uhr, #zweimalvier