Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Neuköllner Tageblatt – Mittwoch, 3.5.1922
Ein teures Räuschchen. Ein in der Steinmetzsraße wohnhafter Arbeiter hatte am letzten Sonnabend im Trinken des Guten zu viel getan. Er schwankte hin und her und fiel schließlich in der Prinz=Handjerystraße in eine große Schaufensterscheibe des Schuhhauses Leiser. Die Scheibe wurde völlig zertrümmert, der Zecher aber kam mit leichten Verletzungen davon. Seine Personalien wurden polizeilich festgestellt und nun soll er die Scheibe die 25 000 Mark kostet, bezahlen.

Neuköllner Tageblatt – Donnerstag, 4.5.1922
Das Kammergericht bestohlen. Selbst die Gerichte sind den Dieben nicht mehr heilig. Ein mit seltener Dreistigkeit durchgeführter Schreibmaschinendiebstahl wird uns aus dem Kammergericht mitgeteilt. Am 1. Mai wurde aus einem verschlossenen Terminzimmer, wahrscheinlich während der Dienststunden, eine Schreibmaschine von unbekannten Tätern gestohlen. Die Staatsanwaltschaft 2 zu Berlin warnt aus diesem Grunde vor dem Ankauf und Weiterverkauf der gestohlenen Maschine. Die fast neue Schreibmaschine, Fabrikat Adler, trägt sie Fabriknummer 200 302.

Neuköllnische Zeitung – Montag, 8.5.1922
Die Not der Presse. In Marienburg fand eine Tagung der Zeitungsverleger West= und Südostpreußens statt. Es wurde festgestellt, daß die Papierpreise eine solche Höhe erreicht hätten, daß die Zeitungsverleger zum großen Teil ihre Betriebe nicht weiterführen könnten. Es stehe zu erwarten, daß weitere Betriebseinstellungen eintreten.

Neuköllnische Zeitung – Montag, 15.5.1922
Ein Reclamheft – fünf Mark! Der Wandel der Zeiten wird zuweilen an einer Kleinigkeit deutlicher erkennbar als an großen Dingen. So teilt jetzt der Verlag Philipp Reclam jun. in Leipzig mit, daß seit dem 1. April jede Nummer der Reclamschen Universal=Bibliothek geheftet 5 Mark kostet. Einst kaufte man die Heftchen bekanntlich für 20 Pfennige!

Neuköllnische Zeitung – Montag, 15.5.1922
Der Wüstling mit dem Revolver. In der vergangenen Nacht gegen 12 Uhr wurde ein Fräulein Bertha Sch., als sie mit ihrem Bräutigam den Baumschulenweg passierte, plötzlich von einem Unbekannten angehalten und für verhaftet erklärt. Der Bräutigam mußte stehenbleiben und der Unbekannte nahm das Mädchen mit sich und hat es nicht weit davon unter Vorhaltung eines Revolvers vergewaltigt. Er hat ihr ganz offen erklärt, daß dies nicht das erstemal sei, sondern daß er derartige Attentate schon öfter verübt habe. Unglücklicherweise haben die beiden, obwohl sich der Vorfall ganz in der Nähe der Straße abspielte, nicht um Hilfe gerufen. Die Kriminalpolizei, die von dem Ueberfall benachrichtigt wurde, suchte die weitere Umgebung des Schauplatzes ab, jedoch ohne Erfolg. Man vermutet, daß es sich bei dem Täter um eine seit langer Zeit wegen ähnlicher Delikte gesuchte Persönlichkeit handelt.

Neuköllnische Zeitung – Donnerstag, 18.5.1922
Das Schwalbennest auf der Hängelampe. Ein Schwalbenpärchen baute sich im vorigen Jahre im Schlafzimmer des Grundbesitzers Willy Förster in Werneuchen sein Nest auf der Hängelampe. Zu gleicher Zeit erblickten das Töchterchen des Besitzers und fünf Schwälbchen das Licht der Welt. Die Schwalbeneltern ließen sich weder durch die Wöchnerin noch durch das Schreien des Neugeborenen stören, und die fünf Schwälbchen sahen neugierig über den Rand des Nestes. Vor drei Wochen kehrte das Schwalbenpaar wieder zurück und saß zirpend und schimpfend wegen des verschlossenen Fensters auf dem Fensterbrett, bis der Eigentümer das Fenster öffnete. Das Nest hatte er von der Lampe entfernt, aber die Schwalben haben sich nun ein neues auf der Hängelampe gebaut.

Neuköllner Tageblatt – Sonntag, 21.5.1922
Schützet die öffentlichen Anlagen! Unter Berücksichtigung der allgemein erheblich verteuerten Fahrpreise werden sich zahlreiche Familien mehr denn je darauf beschränken müssen, anstelle der in den Außenbezirken oder jenseits der Berliner Weichbildgrenze gelegenen größeren Freiflächen die von der Stadtgemeinde künstlich angelegten Schmuckplätze und sonstigen gärtnerischen Anlagen für ihren täglichen Erholungsaufenthalt zu wählen. Diese Plätze werden hiernach in den kommenden Wochen und Monaten eine weit stärkere Inanspruchnahme aufzuweisen haben, wie gewöhnlich. Infolge der großen Finanznot, in der sich die Stadtgemeinde z. Zt. befindet, ist es leider nicht möglich, die gärtnerischen Anlagen wie in früherem Umfange mit zeitweilig auszuwechselnden Blumen und sonstigen teuren Gewächsen auszustatten. Vielmehr wird die gärtnerische Ausgestaltung allgemein auf möglichst einfache Art bei gleichzeitig praktischer Wahl der Blumensorten erfolgen müssen. Da auch die eventl. Ersatzbeschaffung von Pflanzen usw. und die dauernde pflegliche Instandhaltung aller Anlagen mit Rücksicht auf die beschränkten Mittel vielfach auf Schwierigkeiten stößt, so gilt es in diesem Jahre ganz besonders, den sich z. Zt. entwickelnden prächtigen Baum= und Blütenschmuck unversehrt zu erhalten und denjenigen Personen, die durch Abbrechen von Blütenzweigen, Stehlen von Pflanzen usw. eine Schädigung des Allgemeingutes verursachen, das Handwerk zu legen. Das Bezirksamt bittet die Bürgerschaft, ihm in diesem seinem Bestreben durch kurze schriftliche Anzeige bei der Gartendirektion die weitgehendste Unterstützung angedeihen zu lassen. Gegen alle zur Anzeige gebrachten Frevler wird nach wie vor unnachsichtlich eingeschritten werden.

Foto: mr


Nicht nur Grünanlagen sind Opfer sinnlosen Zerstörungstriebes, sondern auch von Anwohnern liebevoll angelegte Baumscheiben. Kaum zeigen sich die Blüten, schon werden sie abgerissen. Dabei werden die abgerissenen Blumen nicht etwa mit nach Hause genommen, um möglicherweise etwas Farbe in die Wohnung zu bringen, sondern sie werden einfach ins Beet geworfen, wo sie verwelken.

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1922 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.