Rabotajet

Arbeitsplatz U-Bahn

Mitten drin und nicht dabei. Grelles U-Bahn Licht scheint mir in die Augen. Tausend Gerüche überfordern meine Nase. Ich rieche Kaffee, Gebäck, Parfüm, Zigarettenrauch und einen Grundton aus Urin.
Auf den Bänken liegen in Decken gehüllt weitere Leidensgenossen, die noch nicht die Notwendigkeit zum Aufstehen sehen. Schon beneidenswert so ein tiefer Schlaf. Ob mit oder ohne Hilfsmittel habe ich nur einen leichten Schlaf. Bin sehr schreckhaft. Immer auf der Hut. Als Frau hat man es nicht leicht auf der Straße. Manche hatten Pech.
Die nächste Bahn kommt an. Ich steige ein. Noch grelleres Licht. Alle Sitzplätze belegt. Die Stimmung scheint ok zu sein. Ich gehe noch einmal meinen Text im Kopf durch und höre mich dann nach einem tiefen Atemzug sagen: «Entschuldigen Sie die Störung, ich bin seit zwei Jahren obdachlos und auf Hilfe angewiesen. Wenn der eine oder andere vielleicht ein wenig Kleingeld oder etwas zu Essen hätte, wäre mir schon sehr geholfen. Vielen Dank und einen schönen Tag.« Meine Stimme hört sich gedämpft und weit weg an. Mit Tunnelblick laufe ich durch die Abteile. Meinen Text lasse ich wie von einer Platte ablaufen. Früher habe ich mich sehr geschämt Menschen anzubetteln, mittlerweile bin ich selbst emotional so abgestumpft, dass es mir egal ist. Geistesabwesend wandele ich durch den Zug. Becher links halten, Becher rechts halten. Text. Weiter.
Zwei Haltestellen weiter bin ich durch und steige wieder aus. Das Kleingeld aus dem Becher wandert in meine Tasche. Ich überquere den Bahnsteig und steige in die nächste Bahn in die Gegenrichtung. Nach einer Stunde habe ich keine Lust mehr. Lief nicht so wie anfangs gedacht.
Ich kaufe mir ein Getränk und setze mich auf eine Bank am Bahnsteig.
Ich gucke mir den realen Wahnsinn an. Menschen hetzen durch die Gänge, Augen kleben am Bildschirm. Immer auf der Suche nach etwas Neuem, was bald schon wieder Schnee von gestern ist. Getrieben von einer Illusion nach dem Glück durch Konsum und Lifestyle. Widerlich! Kurz kocht heisse Wut in mir auf, ein gallebitterer Geschmack läuft mir im Mund zusammen. Ich spucke verachtungsvoll auf den Boden.
Lautes Gegröle in meine Richtung reisst mich aus meinen Gedanken.
Ein dicker Mann kommt in meine Richtung und prostet mir schon von Weitem mit seiner Flasche zu. Er scheint äusserst gut gelaunt. Ich kenne ihn flüchtig.
Unwillkürlich verzieht sich mein Gesicht zu einem Grinsen und ich winke ihn rüber. Wir quatschen oberflächlich und haben eine gute Zeit. Er habe was zu Trinken zu Hause und könne mir ein Bett bieten. Für heute gehe ich mit.

mg