Großstadtmorgen

Eine starke Müdigkeit

Ich werde wach. Ein frischer Wind pfeift mir um die Nase. Der Geruch der noch schlafenden Großstadt stimmt mich friedlich und sentimental zugleich.

Ohne weitere Beachtung.        Foto: sl

Ich höre Schritte, die an mir vorbei gehen. Ich halte meine Augen geschlossen und stelle mich schlafend. Es ist noch zu früh für mitleidige Blicke. Halb dösend, halb wach überlege ich, was mir der Tag bringen könnte. Es wäre schön, einen Ruhetag zu haben. Mein knurrender Magen reißt mich aus der beginnenden Fantasie eines normalen Lebens.
Es nützt nichts. In meiner Tasche finde ich 28 Cent, das reicht gerade mal für ein trockenes Brötchen. Bei dem Gedanken merke ich, wie ausgetrocknet mein Mund ist. Ich greife nach der Wasserflasche in meinem Rucksack und trinke den Rest leer. Mit dem Pfandgeld komme ich auf zwei trockene Brötchen. Das ist ein Anfang.
Ich setze mich auf. Mein Kopf schwirrt. Ich reibe mir die Augen. Ich habe keine Lust.
Menschen gehen an mir vorbei. Die wenigsten nehmen Notiz von mir. Sie schauen auf ihr Smartphone oder drehen den Blick in eine ganz andere Richtung.
Ich blicke an mir herab. Die Kleidung hat schon bessere Tage gehabt. Meine Hände sind rissig und wund. Die Schuhe an einigen Stellen kaputt und gerissen. Gezeichnet von Hunderten Kilometern. Sie haben mich weit getragen. Meine Füße schmerzen, und ich merke wie müde ich bin. Ich habe keine Lust.
Eine Frau bleibt neben mir stehen mit zwei Kaffeebechern in der Hand. Sie bietet mir einen an, bevor sie eilig weiter läuft. Der Becher fühlt sich warm an. Meine Fingerglieder werden lockerer. Ich klammere mich an den Becher als wäre es mein wertvollster Besitz.
Es tut gut, wie die warme Flüssigkeit meinen Rachen hinabgleitet und sich wohlig im Magen ausbreitet. Ich spüre meine Lebensgeister langsam erwachen. Ich habe trotzdem keine Lust.
Ich krame erneut in meinen Taschen und ziehe ein Feuerzeug und einen Zigarettenrest heraus. Ich zünde den Stummel an und geniesse die drei Züge, die noch dran waren. Der beißende Rauch füllt meine Lungen. Ich halte die Luft an, um die Wirkung zu verstärken. Es lindert ein wenig meinen Weltenschmerz.
In meinem Kopf gehe ich den Plan für heute durch. Es ist immer der gleiche Plan. Zusammenpacken, Flaschen sammeln, Frühstück, Runden durch die U-Bahn, Schnorren am Bahnhof, Schlafplatz suchen, sich nicht sicher zu sein, ob man am nächsten Morgen aufwachen möchte, Dunkel.
Ich fasse endlich den Entschluss aufzustehen. Ich strecke meine Beine noch einmal im Schlafsack durch. Die Gelenke knacken. Ich habe keine Lust.
Ich ziehe mir meine Jacke an, die ich nachts als Kopfkissen verwende und mache mich daran, meinen Schlafplatz zusammen zu räumen. Mein gesamtes Hab und Gut passt in einen Armeerucksack, aussen dran baumeln zusammengerollt Schlafsack und Isomatte.
Aus der Seitentasche hole ich meinen blauen Ikea-Sack raus und lege meine eine Pfandflasche hinein. Die nächsten Stunden werde ich damit verbringen, den Beutel zu füllen.
Meine Hände sind rissig, mein Magen knurrt.Ich habe keine Lust.

mg