Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Neuköllnische Zeitung – Sonnabend, 4. 3. 1922
Protestversammlung gegen die industrielle Ausbeutung des Tempelhofer Feldes. In der am Mittwoch abgehaltenen Sitzung der Neuköllner Bezirksversammlung wurde, wie von uns ausführlich berichtet, bereits einmütig gegen den Plan Stellung genommen, das Tempelhofer Feld zu Industriezwecken aufzuteilen. Es besteht die Absicht, selbst den an Neukölln grenzenden grünen Streifen zu beseitigen. Dieser Plan muß vereitelt werden. Neukölln darf nicht ringsum von Industrien eingeschnürt werden, man muß seiner Einwohnerschaft wenigstens eine freie Stelle lassen, wo sie nach schwerer Wochenarbeit des Sonntags notdürftig Erholung finden kann. Um dem einstimmig gefaßten Widerspruch der Bezirksversammlung noch besonderen Nachdruck zu verleihen, ist es deshalb notwendig, daß auch von seiten der Bevölkerung ein flammender Protest gegen den Raub der Erholungsstätte erhoben wird. Alle Interessenten werden deshalb … aufgefordert, zu einer Protestversammlung zu kommen, die am Dienstag … stattfindet.

Neuköllnische Zeitung – Mittwoch, 8. 3. 1922
Wegen groben Unfugs ist der Arbeiter Rudolf Müller aus der Soldiner Straße zu Berlin vom Amtsanwalt Neukölln zu einer Geldbuße von 160 Mark bzw. 16 Tagen Haft in Verfolg eines Strafantrages des Bezirksamts Neukölln verurteilt worden. Müller hatte widerrechtlich die Scheibe eines in Neukölln aufgestellten Feuermelders eingeschlagen, wurde aber bei der Ausübung der Tat ertappt, so daß eine böswillige Alarmierung des Löschzuges noch rechtzeitig verhindert werden konnte. Das Neuköllner Bezirksamt wird auch weiterhin gegen alle derartige Uebergriffe rücksichtslos einschreiten.

Neuköllner Tageblatt – Freitag, 10. 3. 1922
Ein netter Bräutigam. Frl. Ella M. war von der Fichtestr. nach der Friedelstr. verzogen und bat ihren Verlobten, ihre Kleidung, Wäsche usw. von der früheren Wirtin abzuholen. Der Verlobte, der Mechaniker Fritz Schulz, versprach dies auch, kam aber schließlich ohne Sachen zurück und erklärte, die Wirtin habe sich geweigert, ihm die Sachen zu übergeben.Seitdem ließ sich Sch. bei seiner Braut nicht mehr sehen. Als diese nun selbst zu ihrer früheren Wirtin ging, erfuhr sie von dieser, daß Sch. die Sachen erhalten und mitgenommen habe. Wahrscheinlich hat Sch. die Sachen verkauft und das Geld für sich behalten. Seine bisherige Wohnung hat er aufgegeben, so daß die Kriminalpolizei, bei welcher Frl. M. Anzeige wegen Unterschlagung erstattet hat, den netten Bräutigam nunmehr sucht.

Neuköllnische Zeitung – Dienstag, 28. 3. 1922
Professor Alfred Blaschko †. Nach längerem Leiden, das trotz seiner Schwere den unermüdlichen Mann von der Arbeit an seinem Lebenswerk nicht gänzlich zurückhielt, ist gestern, kurz nach Vollendung seines 64. Lebensjahres, Professor Alfred Blaschko in Berlin gestorben. Er ist die stärkste treibende Kraft der wissenschaftlichen und populären Bewegung für die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten gewesen.

Neuköllnische Zeitung – Donnerstag, 30. 3 1922
Brand einer Dachpappenfabrik. Heute vormittag, um 11 Uhr, wurde die hiesige Feuerwehr nach dem Grundstück Glasowstraße 9-10 gerufen. Daselbst brannte die Dachpappenfabrik von Quandt in ganzer Ausdehnung. Das Feuer wurde mit 10 Schlauchleitungen angegriffen und konnte nach ½stündiger anstrengender Tätigkeit auf den vorgefundenen Herd beschränkt werden. Die Aufräumungsarbeiten nehmen noch längere Zeit in Anspruch. Das Fabrikgebäude selbst ist zum großen Teil ausgebrannt. Die Nachbargebäude und ebenso die angrenzenden Lager sind restlos gehalten. Der Schaden wird auf annähernd 200 000 Mark geschätzt. Die Entstehungsursache dürfte auf Ueberkochen von Teer zurückzuführen sein.

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1922 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.

100 Jahre Kampf ums Tempelhofer Feld

Von der ersten »Randbebauung« bis zur Freizeitoase

Sport, Spiel und Spaß auf dem Feld.    Foto: mr

Bereits zum Beginn des 20. Jahrhunderts begannen erste »Randbebauungen« des Tempelhofer Feldes. 1908 in der Hochphase der Immobilienspekulation erwarb der Bezirk Tempelhof das Gebiet westlich des Tempelhofer Damms für 72 Millionen Mark, was seinerzeit das teuerste Grundstücksgeschäft im Deutschen Reich war. Bis 1930 entstand hier die Gartenstadt Tempelhof. Die verbliebene Freifläche wurde von den Berlinern für Naherholung, Picknick und für den Sport genutzt. Auch der erste Berliner Fußballverein, der »BFC Frankfurt 1885«, hatte dort seinen Heimathafen, genauso wie der deutsche Fußballmeister von 1905, »Union 92 Berlin«.
Hatten 1919 die Gemeindevertretungen Neuköllns und Tempelhofs noch gegen eine Bebauung des Feldes gestimmt, drehte sich der Wind im Laufe des Jahres 1922. Am 2. März 1922 berichtete die »Neuköllnische Zeitung«, dass die Tempelhofer Bezirksversammlung dem Plan des Reichsverkehrsministeriums zustimme, auf dem östlichen Teil des Tempelhofer Feldes einen Zwischenlandungsplatz für den Post- und Reiseflugverkehr anzulegen, allerdings unter dem Vorbehalt, »daß die eigentlichen Zwecke des östlichen Tempelhofer Feldes, der Erholung und dem Sport der Bevölkerung zu dienen, dadurch nicht beeinträchtigt werden.«
Gegen die weitere Nutzung zu industriellen Zwecken regte sich aber zumindest in Neukölln Widerstand. »Das Tempelhofer Feld müsse als ein Lungenflügel der Bevölkerung erhalten bleiben«, schreibt die Neuköllnische Zeitung über eine Debatte in der Neuköllner Bezirksversammlung.
Das gilt bis heute. In Zeiten von Pandemie und Klimawandel ist das Feld ein unverzichtbarer Ort der Erholung, ein Freiraum ohne Konsumzwang mit vielfältigen Möglichkeiten für Sport, Freizeit, Bildung, Kultur und Kreativität für alle, die kein Haus im Grünen haben. Dazu ist es ein Hort der Biodiversität und ein wichtiger Klimaregulator für die angrenzenden Quartiere.

mr