Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Neuköllner Tageblatt–Mittwoch, 5.10.1921
Bekämpfung der Schundliteratur.
Die Unabhängigen haben der Berliner Stadtverordnetenversammlung folgenden Dringlichkeitsantrag unterbreitet: „Die Stadtverordnetenversammlung wolle beschließen, den Magistrat zu ersuchen, sofort eine großzügige Aktion zur Bekämpfung der Schundliteratur zu unternehmen. Es sind sofort 100 000 M. bereit zu stellen, um in allen Bezirksjugendämtern Bücherverteilungsstellen einzurichten; die Berliner Schulverwaltung hat sofort auf dem Wege der Schulordnung den Schülern zu verbieten, in Buchhandlungen zu laufen, die Schundliteratur zum Verkauf bringen, Buchhandlungen zu empfehlen, welche nur gute Literatur führen. Der Polizeipräsident ist zu ersuchen, durch Polizeiverordnung sofort allen Produktengeschäften jeden Bücherverkauf zu untersagen.

Neuköllnische Zeitung – Montag, 10.10.1921
Flitzbogenhelden.
Während in den letzten Wochen wiederholt mit Schußwaffen, die das Zentrum Berlins verlassenden Vorortzüge beschossen wurden, fand sich gestern ein »Held«, der in das gefährliche Treiben dadurch etwas Abwechslung zu bringen versuchte, daß er den Vor­ortzug Nr. 408 mittels Flitzbogen bearbeitete. Ein Pfeil traf den am Fenster sitzenden Postboten Erich Wagner aus der Frankfurter Straße und verletzte ihn sehr erheblich an der Wange. Sofort eingeleitete Recherchen nach dem unbekannten Täter blieben leider ohne Erfolg. – Es dürfte nunmehr an der Zeit sein, das System der erfolgreichen Razzien auch auf die Bahnkörper der Berliner Vorortstrecken auszudehnen, um dem skandalösen Scharfschützentum nunmehr endlich ein Ende zu bereiten.

Neuköllnische Zeitung – Dienstag, 11.10.1921
Das Ende der städtischen Amtsketten.
Die Revolution hat auch mit dem Wahrzeichen der früheren städtischen Selbstverwaltung, den Amtsketten der Stadträte, Stadtverordneten und Bezirksvorsteher ein Ende gemacht. Da die Amtsketten bei feierlichen Anlässen nicht mehr getragen werden, hat der Magistrat beschlossen, sie einzuziehen. Die Bezirksvorsteher sind ersucht worden, die Ketten an den Magistrat abzuliefern.

Neuköllnische Zeitung – Freitag, 28.10.1921
Unentgeltliche Impfung jederzeit.
Zur Entlastung der regelmäßig stattfindenden öffentlichen Impfungen in den Groß=Berliner Bezirken werden in der staatlichen Impfanstalt, Berlin, Thaerstraße 30, am Zentralviehhof, unentgeltlich Impfungen für Erst= und Wiederimpflinge vorgenommen. Neuköllner Impflinge können daselbst Mittwochs und Freitags von 9-10 Uhr vorgeführt werden. Auch erwachsene Personen können sich dort z. B. Bei Antritt einer Auslandsreise gegen Entrichtung einer Gebühr von 5 M. impfen lassen. In der genannten Zeit werden ferner von den Aerzten Beratungen und Belehrungen über angeblich schädliche Folgen der Impfung erteilt.

Neuköllnische Zeitung – Freitag, 28.10.1921
Schaffung von Heimen für Kleinrentner.
Im Landtage hat die deutsche Volkspartei beantragt, das Staatsministerium zu ersuchen, Maßnahmen zur Linderung der Not derjenigen Kleinrentner zu treffen, denen nicht durch Versicherungen oder Ruhegehälter eine annäherung an das Existenzminimum ermöglicht ist, und zwar in der Weise, daß unter Aufwendung von staatlichen und kommunalen Mitteln die Schaffung von Heimen in die Wege geleitet wird, in denen diesen Kleinrentnern gegen eine angemessene Einzahlung bis zum Lebensende Unterkunft gewährt wird. Auf diesem Wege wird auch der herrschenden Wohnungsnot durch das Freiwerden von Wohnungen in gewissem Umfange abgeholfen werden können.

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1921 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek,
Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Zeichen und Zierde

Die Bürgermeisterkette verdeutlich die Würde und die Verpflichtung des Amtes

Eine Amtskette ist eine mit Medaillen, Wappenbildern und Emblemen verzierte schwere Halskette, die als Amtsinsignie von Oberbürgermeistern, anderen hohen Stadtbeamten oder von Universitätsrektoren zu feierlichen Anlässen getragen wird. Dem Neuköllner Bezirksbürgermeister wird sie bei der Amtseinführung übergeben.

Kette des Bürgermeisters.   Foto: Bezirksamt

Im Rahmen der Stein-Hardenbergschen Reformen von 1808 ließ der preußische König Friedrich Wilhelm III. die Preußische Städteordnung einführen, mit der eine einheitliche Verfassung für die preußischen Städte geschaffen wurde. Darin wurde unter anderem vorgeschrieben, dass die Mitglieder des Magistrats und die Stadtverordneten bei Ausübung ihres Amtes in schwarzer Amtskleidung erscheinen und Amtszeichen, bestehend aus Kette und Medaille, tragen sollen. Für Magistratsmitglieder und Stadtverordnete waren goldene, für die Bezirksvorsteher silberne Ketten und Medaillen vorgesehen. In Berlin dauerte es etwas länger, nämlich bis 1844, bis es zur Anfertigung und Ausgabe der Amtszeichen für kommunale Berliner Behörden kam. Jedoch erhielten hier Magistratsmitglieder und Stadtverordnete unterschiedslos nur vergoldete Silberketten und Medaillen.
Das Amtszeichen besteht aus ellipsenförmigen Kettengliedern, die auf eine Medaille mit einem Berliner Bären, der Inschrift »Magistrat zu Berlin« und aufgesetzter Mauerkrone zulaufen. Unterhalb der Medaille hängt eine größere mit der Inschrift »Friedrich Wilhelm III – Gründer der Städteordnung MDCCCVIII« und dessen Porträt. Die Rückseite der zweiten Medaille zeigt das Berliner Stadtwappen in der Form von 1839 und die Jahreszahl MDCCIX (1709), Gründungsjahr der preußischen Haupt- und Residenzstadt Berlin.
Als Berlin 1920 Einheitsgemeinde wurde, Dörfer und Städte ohne Amtsketten-Träger dazukamen, erging ein Magistratsbeschluss, der die Einziehung aller Amtsketten und ihre Einlagerung im Roten Rathaus verfügte. 1934 beantragte der Berliner Magistrat, die Amtsketten wieder tragen zu dürfen. Der Oberbürgermeister wies 1936 die Bezirksbürgermeister an, dass je eine Amtskette gegen Quittung in Empfang genommen werden kann. Von den damals ausgereichten 20 Ketten sind derzeit noch 14 vorhanden.

mr