Woermannkehre bleibt – Radweg kommt

Lebhafte digitale BVVen

»Bitte entstummen«, ist die derzeit wohl häufigste Aufforderung, die Lars Överdieck, Vorsteher der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung (BVV), an die Verordneten richtet. Der Grund: Bei den derzeit vorwiegend digital stattfindenden Versammlungen wird im Eifer der Diskussion öfter mal vergessen, vor einer Wortmeldung das Mikrophon einzuschalten.
Da inzwischen auch Abstimmungen digital erfolgen können, ist die BVV auch wieder zu ihrer Praxis zurückgekehrt, stundenlang lustvoll über Anträge zu debattieren, die in den Fachausschüssen bereits beschlossen wurden. Am Ergebnis ändert das in der Regel nichts. In den Digitalsitzungen können allerdings nur Anträge beschlossen werden, die das Bezirksamt zwar zum Handeln auffordern, aber nicht bindend sind. Für Anträge, die Recht setzen, wie etwa Bebauungspläne, gilt weiterhin die Präsenzpflicht.
Eines der lebhaft diskutierten Themen der zwei BVVen im Februar war die von Antikolonialisten geforderte Umbenennung der Woer­mannkehre, eine kleine Sackgasse im Britzer Norden. Namensgeber ist der Hamburger Reichstagsabgeordnete Adolph Woermann, der als Kaufmann und Reeder von der Ausbeutung afrikanischer Gebiete profitierte.
Anders als in der Wissmannstraße gibt es hier nur drei Unternehmen, darunter das international agierende Gesundheitsunternehmen »Bio­tronik«, das seit 1963 Herzschrittmacher und Implantate exportiert. Für diese Firma wäre eine Umbenennung existenzgefährdend, da auf allen Patenten und Zertifikaten die Adresse vermerkt ist und eine notwendige Neuzertifizierung mit enor­men Kosten verbunden wäre. Mit großer Mehrheit wurde in der BVV als Kompromiss beschlossen, den Namen zu behalten, aber mit einer Hinweistafel über die Geschichte zu informieren.
Um den Umgang mit zwei Häusern, die als illegal erworbenes Eigentum von der Justiz eingezogen wurden, ging es in einer mündlichen Anfrage der CDU. Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) möchte daraus möglichst schnell ein Jugendzentrum machen. So einfach gehe das nicht, antwortete Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD). Langfristig werde zwar eine gemeinnützige Nutzung der Liegenschaft in Alt-Buckow angestrebt. Das werde aber nicht von heute auf morgen gehen, da in diesen Häusern Menschen mit gültigen Mietverträgen leben. »Das Mietrecht gilt für alle Menschen gleich. Und deshalb haben wir als Bezirksamt die gleichen Hürden wie jeder andere Vermieter, wenn wir eine vermietete Immobilie umnutzen wollen.«
Mehrere Drucksachen beschäftigten sich mit dem Thema Verkehr. »Für den Bereich der Schillerpromenade waren Ende 2019 insgesamt 2.797 zugelassene Kraftfahrzeuge registriert. Dies entspricht 175 Kfz pro 1.000 Einwohner.« Das antwortete Martin Hikel auf die Frage einer Anwohnerin. Zur Einführung der Parkraumbewirtschaftung innerhalb des S-Bahn-Rings sei eine Machbarkeitsstudie in Arbeit. Sobald diese vorliege, werde sich das Bezirksamt an die Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen machen. Mit einer Mehrheit von LINKEN, Grünen und SPD wurde auch der Einwohnerantrag der Bürger­initiative »Hermannstraße für Alle« beschlossen. Rund 2.200 Unterschriften hatte die Initiative innerhalb von vier Wochen unter den Anwohnern gesammelt, damit sich die BVV mit ihrem Anliegen befasst, einen durchgehenden Radweg von der Glasower Straße bis zum Hermannplatz anzulegen. Sobald es das Wetter zulässt, soll mit den Bauarbeiten begonnen werden. CDU, AfD und FDP lehnten den Antrag ab. FDP und AfD forderten stattdessen, die Hauptstraßen sollten den Autofahrern vorbehalten bleiben, Fahrradfahrer auf Nebenstraßen ausweichen.
Die AfD vermisste darüber hinaus die Bürgerbeteiligung.

mr