Zwischen Zweifel und Zuversicht

Ein Gespräch über die Zukunft der SPD von Fred Haase aufgezeichnet

Auf Einladung von Kiez & Kneipe trafen sich Hakan Demir (SPD) und Rainer Hölmer, ein Bundestagsabgeordneter und ein ehemaliger Stadtrat, um über die Frage zu sprechen: Wofür steht die SPD heute noch?

Rainer Hölmer und Hakan Demir im Gespräch. Foto: Fred Haase

Rainer Hölmer, nach 26 Jahren aus der SPD ausgetreten, eröffnet den Dialog. »Ich habe lange gehofft, dass sich die SPD noch einmal fängt«, sagt er. »Aber als sie wieder in die große Koalition geflüchtet ist, war für mich klar: Das war’s. Die Ungleichheit in unserer Gesellschaft ist, soweit ich das verfolgen kann, kein Thema mehr in sozialdemokratischen Kreisen. Zumal diese gerade in der Vermögensentwicklung ein Fakt ist. Zehn Prozent der reichsten Menschen in diesem Land haben über 40 Prozent der Privatvermögen. Das gefährdet die Demokratie, und die SPD schaut zu. Die Partei, die einst für soziale Gerechtigkeit stand, ist in einem Verwaltungsmodus erstarrt.«
Hakan Demir, seit 2021 Bundestagsabgeordneter, widerspricht: »Eine Koalition mit CDU und CSU ist ganz sicher nicht meine Wunschoption, aber wo wären die demokratischen Mehrheiten sonst?« Er verweist auf Erfolge: das Rentenniveau bis 2031 auf 48 Prozent gesichert, die Mietpreisbremse verlängert, den Mindestlohn auf 14,60 Euro erhöht. »Keine Revolution, aber sozialdemokratische Schritte. Wir haben während Corona 200 Milliarden Euro aufgenommen, um Gas- und Strompreise zu bremsen. Das zeigt: Wir handeln, wenn auch nicht perfekt.«
Doch Hölmer bleibt skeptisch: »Viele hoffen noch, aber sie glauben es nicht mehr. Es fehlt die Erzählung. Wofür steht die SPD? Wo will sie in zehn Jahren sein?«
Demir verweist auf das neue Grundsatzprogramm: »Unser Programm von 2007 ist älter als das iPhone. Wir müssen Arbeit neu denken, im Krankenhaus, bei dem Fahrer mit dem Lieferando-Rucksack, bei der Pflege der Eltern. Und wir brauchen eine Sprache, die Respekt ausstrahlt. 2021 hatten wir das kurz, danach ist es verloren gegangen.«
Der ehemalige Stadtrat lächelt bitter: »Das klingt gut. Aber solange die SPD nicht spürbar kämpft, bleibt es Papier.«
Beim Thema Bürgergeld flammt der Streit erneut auf. Hölmer nennt es »Feigheit«: Erst habe die SPD Hartz IV überwinden wollen, dann sei sie eingeknickt. »Jetzt redet ihr wieder über Sanktionen, das ist Verrat an der eigenen Idee.« Demir entgegnet: »Die Stimmung im Land war dagegen. Und die Gesamtheit der progressiven Kräfte hat das leider nicht verhindern können. Unter einem Prozent der Arbeitsfähigen verweigern dauerhaft, trotzdem dominieren sie die Schlagzeilen. Klar ist: Wir brauchen endlich eine faire Erbschafts- und Vermögenssteuer, sonst verlieren wir mehr an Glaubwürdigkeit.« Er betont die Notwendigkeit einer Zukunftserzählung: »Früher glaubten die Menschen an den Aufstieg mit der SPD. Heute fürchten sie den Abstieg. Wir müssen wieder Zuversicht vermitteln. Deutschland wird schlechtgeredet, von der AfD bis zur Springerpresse. Dabei arbeiten 46 Millionen Menschen, das ist Rekord. Wir sind die drittgrößte Wirtschaft der Welt. Statt ständig von Krise zu reden, sollten wir von unserer Stärke erzählen.«
Das Gespräch schwankt zwischen Enttäuschung und Hoffnung, zwischen Haltung und Realismus. Hölmer fasst zusammen: »Ich bin vielleicht noch Sozialdemokrat, aber ich glaube nicht mehr an die SPD.« Demir antwortet: »Dann lass uns wenigstens dafür sorgen, dass man wieder an sie glauben kann.«
Ob das gelingt, bleibt offen. Doch an diesem Abend, bei Bier und ehrlicher Selbstkritik, wirkt es für einen Moment so, als beginne die SPD wieder, über sich selbst nachzudenken, wie eine Partei zu retten ist, die einst die Welt verändern wollte und sich heute selbst kaum wiedererkennt.