»Deine Nachbarn«

Eine Gespräch über die Poesie des Widerstands

Berlin, Neukölln. Ein Nachmittag, es regnet, der Herbst macht Stimmung. Ich sitze im Café. Zwischen Frühstückstellern und Laptopmenschen, die in anderen Universen verschwinden, sitzen mir drei gut aussehende Typen gegenüber. Sie lachen, reden durcheinander, über ihre Visionen, ihre Musik, zeigen ihre Wut, Liebe und den Versuch, in einer Stadt zu überleben, die längst ihre eigenen Kinder frisst, »Deine Nachbarn« nennen sie sich. Eine kleine Punkband, ohne Marketingplan, geboren in der Hitze des Berliner Alltags irgendwo zwischen Entfremdung, Mietsteigerung, Wut und Hoffnung. Diese drei Typen an meinem Tisch, das begeistert mich nach einem kurzen Kennenlernen, brennen für ihre Musik.

Deine Nachbarn. Bandphoto

»Wir sind eine kleine Punkband aus Berlin-Neukölln«, sagt Jannis. »Singer-Songwriter-Punk, emotional, politisch, aber immer mit einem Augenzwinkern.« Was als Lagerfeuerprojekt mit einer Gitarre begann, ist jetzt eine Band mit Haltung, und Haltung ist in dieser Stadt längst die radikalste Form des Überlebens. Die Band, das sind Jannis, Stefan und Mario. Drei Männer, die genug zu tun hätten mit Jobs. Stefan dreht Filme und hilft, wie er sagt, »zu oft irgendwelchen Arschlöchern, ihren Scheiß zu verkaufen«. Mario, Politikwissenschaftler, hatte die Kulturpolitik satt und widmete sich im letzten Jahr als Hausmann der Care-Arbeit.  Und Jannis, Kameramann und Künstler, glaubt an Punk als poetischen Widerstand gegen das Abstumpfen.
Ihr Song »Alles leuchtet« ist dafür das beste Beispiel, eine melancholische, fast zärtliche Ballade über Depression, Selbstzweifel und den Versuch, sich an der Welt festzuhalten. »Es geht um jemanden, der mit seiner Depression lebt, vielleicht am Rand des Lebens steht«, erklärt Jannis. »Der Song listet all die Dinge auf, die das Leben lebenswert machen sollen und merkt im selben Moment, dass das vielleicht nicht reicht.« Traurig? Ja. Aber auch ehrlich, verletzlich, wunderschön. Das klingt traurig. Ist es auch. Ein Song, der in seiner Reduziertheit tatsächlich leuchtet.
Produziert wurde ihr kommendes Album »Brandstiftung« von Christian Schilgen (ex-Egotronic sowie Torsun & The Stereotronic) der für Berliner Elektropunk steht. Die erste Single »Kaufland« erscheint am 14. November, das Album folgt am 13. Februar. Der Titel ist kein Zufall: »Brandstiftung« meint nicht nur Feuer, sondern auch Anstiftung, ein Brennen für etwas, das größer ist als man selbst.
Musikalisch pendeln »Deine Nachbarn« zwischen rauem Drei-Akkord-Punk und feingliedrigen Songwriter-Momenten. Fehlfarben treffen auf frühe Ärzte, ein Schuss Tocotronic, dazu die Direktheit von Egotronic. Keine Overdubs, keine Streicher, kein Studio­zauber. »Wir sind zu dritt, das ist auf den Punkt«, sagt Mario. »Da ist nichts überfrachtet, kein unnötiger Schnickschnack.«
Vielleicht liegt gerade darin ihre Kraft. Drei Menschen, drei Instrumente, drei Meinungen und eine gemeinsame Idee davon, wie Musik klingen soll, wenn sie etwas sagen will. In einer Zeit, in der Spotify-Algorithmen den Geschmack diktieren und Clubs nach und nach zu Eigentumswohnungen werden, ist das fast schon widerständig.
Ihre Auftritte sind kleine Revolutionen: im Sandmann in der Reuterstraße oder im Tristeza in der Pannierstraße, in verrauchten Bars, auf kleinen Bühnen, wo noch Platz ist für Fehler und Herz. Sie spielen da, wo man sie lässt und das ist schon nicht mehr selbstverständlich.
»Die Berliner Kneipenszene steht unter Druck«, sagt Mario. »Viele Läden müssen schließen, weil Nachbarn sich über Lärm beschweren oder die Mieten explodieren. Aber genau da entsteht doch Kultur.« Vielleicht ist das der Kern von »Deine Nachbarn«: Widerstand, indem man weitermacht. Trotz allem.
Punk war schon immer mehr Haltung als Stil und »Deine Nachbarn« wissen das. Ihre Texte sind politisch, wütend, aber nie platt; auch poetisch, ohne zu fliehen. Sie singen über Wohnungsknappheit, Sehnsucht, Depression und den absurden Traum, einfach ans Meer zu gehen, während um einen herum die Stadt brennt.
Und trotzdem lachen sie viel. Über sich, über die Welt, über das Musikgeschäft. »Wir machen das nicht fürs Geld«, sagt Jannis. »Wir machen’s, weil wir’s wollen.«
Das neue Album »Brandstiftung« ist keine Revolution, aber ein flackerndes Licht in einer dunkler werdenden Stadt. Drei Nachbarn, die keine Ruhe geben wollen. Drei Stimmen, die sagen: Musik ist kein Produkt. Musik ist ein Gespräch mit dir, mit mir, mit dem Hund, der im Hintergrund bellt.
Und vielleicht ist das genau das, was Punk 2025 braucht: ein bisschen Wahrheit, ein bisschen Lärm, ein bisschen Liebe. Verschmitzt grüßen sie noch Rebecca von der Kaufland Kasse und empfehlen unbedingt die Bands »Brutal Besoffen« aus Neukölln und ihre Proberaumfreunde »1312 Mindestlohn«, zu supporten. Machen wir!

Fred Haase