Neulich in der Notaufnahme

Sie hat trotzdem überlebt

Obwohl inzwischen im Rentenalter, steht Astrid noch voll im Berufsleben. Sie ist die rechte Hand des Chefs, kümmert sich um die Verwaltung der Firma, packt auch überall da mit an, wo eine Hand gebraucht wird. Sie ist sportlich, legt alle Wege in der Stadt – sommers wie winters – ausschließlich mit dem Fahrrad zurück.
Eines Tages erscheint sie nicht zu einer Verabredung mit ihrer Freundin Simone, meldet sich auch nicht, um abzusagen, was ungewöhnlich ist, denn Astrid ist in diesen Dingen sehr zuverlässig.
Also ruft Simone an, um herauszufinden, was passiert ist. Am Telefon, hört sie aber nur undeutliches Gemurmel.
Höchst alarmiert schwingt sich Simone aufs Fahrrad und fährt in die Wohnung der Freundin, wo sie Astrid als Häuflein Elend vorfindet, kaum noch fähig zu laufen oder zu sprechen. Simone fackelt nicht lange und ruft die Feuerwehr, die auch in wenigen Minuten da ist. Die Sanitäter stellen einen viel zu hohen Blutdruck fest und entscheiden, Astrid in die Notaufnahme des Krankenhauses Neukölln zu bringen. Simones Erklärungen, dass Astrid am Vortag noch fit und tatkräftig war, hatten die Sanitäter offenbar nicht ernst genommen, denn noch im Krankenwagen fragen sie Astrid, warum sie keine Pflege habe. Ihr Versuch zu erklären, dass jemand, der voll berufstätig ist keine Pflege braucht, wird ignoriert.
In der Notaufnahme wird Astrid Blut abgenommen, und sie bekommt Medikamente, um den Blutdruck zu senken. Weiter gehende Untersuchungen werden nicht vorgenommen. Da die Blutanalyse keine Auffälligkeiten zeigt und der Blutdruck gesenkt war, wird sie nach Hause geschickt mit der Ansage, am Folgetag den Hausarzt aufzusuchen und sich ansonsten um eine Pflege zu kümmern.
Als Simone am nächsten Tag bei Astrid ankommt, hat sich deren Zustand weiter verschlechtert. Inzwischen kann sie nicht mehr schlucken, beim Versuch, etwas zu essen verschluckt sie sich fürchterlich.
Simone ruft wiederum die Feuerwehr. Diesmal lässt sie sich nicht abwimmeln und fährt hinterher. In der Notaufnahme wird Astrid ein weiteres Mal Blut abgenommen. Diesmal wird sie aber einer Neurologin vorgestellt. Diese raunzt Astrid an, was ihr einfiele, bereits zum zweiten Mal in der Not­aufnahme zu erscheinen. Sie gehöre wohl zu den Omas, die ständig ins Krankenhaus gehen, weil sie Ansprache brauchen. Anderen, jüngeren Patienten gegenüber sei sie deutlich freundlicher gewesen, erzählt Astrid später ihrer Freundin. Nach einer kurzen Untersuchung informiert sie Simone, die es inzwischen geschafft hat, in die Notaufnahme vorzudringen, dass Astrid nicht mehr laufen könne, weil ihre Nerven durch zu viel Alkohol irreparabel geschädigt seien. Als Simone einwendet, dass solche Schäden kaum innerhalb weniger Stunden auftreten, weist sie sie mit den Worten: »Ich bin hier die Ärztin« sehr energisch zurecht. Auch Simones Hinweis auf Astrids kaum verständliche Sprache bügelt sie ab. Sie könne sie gut verstehen. Es gäbe eben Menschen, die sehr leise und undeutlich sprächen.
Am Ende lässt sie sich aber doch herab, die Patientin zum CT zu schicken. Nach dem Ergebnis wird klar, Astrid muss stationär aufgenommen werden.
Inzwischen sind zwölf Stunden ohne Wasser oder etwas zu essen vergangen. Astrid fühlt sich völlig hilflos, denn sie hat klare Gedanken, im Kopf formuliert sie Sätze, die sie nicht sagen kann. Ihr wird bewusst, dass diese Ärzte mit ihr machen können was sie wollen, sie kann sich nicht wehren, geschweige denn das Etablissement verlassen, denn sie kann nicht laufen.
Erst am nächsten Morgen, nach eingehenden Untersuchungen wird deutlich: Astrid hatte einen Schlaganfall. Bis zu dieser Diagnose dauerte es zwei Tage. Und das bei einer Krankheit, bei der es auf jede Stunde ankommt, damit Folgeschäden vermieden oder wenigstens möglichst gering gehalten werden.
Die Behandlung auf der Station ist deutlich besser als in der Notaufnahme. Die Ärzte sind kompetent, das Pflegepersonal ist freundlich und aufmerksam.
Astrid hat Glück ge­habt. Trotz dieser Behandlung wird sie wieder gesund.

mr
Namen von der Redaktion geändert