Kamiran Nasir Rasho erzählt über sein Leben als Geflüchteter
Mein Name ist Kamiran Nasir Rasho. Ich wurde am 1. September 2003 im Nordirak geboren – in der Region Shingal-Gebirge, der Heimat der Êzîden. Der 3. August 2014 veränderte mein Leben für immer: Die Terrororganisation »Islamischer Staat« löschte meine Kindheit aus. Ich verlor Freunde, unser Haus – es existiert nicht mehr. Meine Familie ist heute über die Welt verstreut. Ob wir je wieder vereint sein werden, weiß ich nicht.
Ich wuchs inmitten der Natur auf – fernab von Lärm und Beton. Unser Hof war ein kleines Paradies voller Tiere, Granatapfelbäume und duftender Feigen. Ein einfaches, aber reiches Leben, in dem ich Verantwortung, Dankbarkeit und Demut lernte. Diese Erinnerungen trage ich in mir – sie erinnern mich daran, wer ich bin.
Meine Heimat wies mich ab – doch Deutschland nahm mich auf. Hier fand ich Sicherheit, Bildung und Hoffnung. Trotz Sprachbarrieren und Heimweh habe ich mein Fachabitur abgeschlossen. Ich möchte Bauingenieurwesen studieren, um am Wiederaufbau im Irak mitzuwirken – gesellschaftlich und baulich.
Ich glaube an die Kraft von Kunst und Musik. Ich spiele Cello, zeichne, schreibe. Zwei Bücher habe ich bereits verfasst – unveröffentlicht: »Das Tor zum Paradies der Liebe« und »Der Bettler der Liebe«. Für mich sind Kunst und Musik Sprachen ohne Grenzen – sie verbinden und heilen.
Die Zeichnung, die den Blick einfängt – jede ihrer Linien spricht von einem Gefühl: Wut, Freude, Liebe und mehr. Jeder Mensch trägt solche Linien in seiner Biografie. Sie begleiten uns ein Leben lang – und mit der Zeit lernen wir immer mehr daraus. Und aus jeder Erfahrung lernen wir ein Stück mehr über uns selbst und die Welt um uns herum. Meine Biografie ist geprägt von schmerzvollen Erinnerungen – aber auch von Menschen, die mir Licht in dunklen Zeiten schenkten.
In Berlin begegnete ich Salman Baroo, einen Jungen aus meinem Heimatdorf. Er wurde mein Bruder im Herzen, brachte mir das Spielen der Saz bei – ein Symbol êzîdischer Kultur. Auch mein Cousin Izat wurde mir wieder nah. Und dann war da ein besonderer Mensch, der zwei Jahre lang mein Herz begleitete – eine tiefe Verbindung, deren Verlust schmerzt, aber bleibt.
Ich bin dankbar für meine Eltern und meine elf Geschwister. Kurz vor seinem Tod sagte mein Vater: »Ein Mensch ohne Bildung ist nichts wert.« Dieser Satz begleitet mich bis heute. In unserer Familie waren Bücher und Wissen Teil des Alltags – darauf bin ich stolz.
Mein Blick in die Zukunft ist klar:
Ich will Menschen helfen, Brücken bauen – aus Beton und Menschlichkeit. Und ich will schreiben. Denn Worte können genauso viel verändern wie Taten. Wer Schmerz kennt, weiß, wie kostbar Hoffnung ist. Und wer überlebt, trägt Verantwortung – für sich, für andere, für die Zukunft.