Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe
Neuköllner Tageblatt, Sonntag, 2.8.1925
Das Spiel mit Streichhölzern. Die 13 Jahre alte Erna Brunath, die Tochter einer Kriegerwitwe aus der Brunnenstraße 86, hatte in der Wohnung mit Streichhölzern gespielt und dabei ihr Kleid angezündet, so daß das Kind plötzlich in Flammen stand. Es ist jetzt im Krankenhaus seinen schweren Brandwunden erlegen.
Neuköllnische Zeitung, Freitag, 7.8.1925
Wegen Katz und Kanarienvogel beinahe Gattenmord! Der Werkzeugmeister Alfred G. aus der Cuxhavener Straße ging heute nacht mit seiner Frau nach Hause. Auf dem Wege entstand zwischen dem Ehepaar ein Streit darüber, daß der Kanarienvogel am Tage vorher von der Katze aufgefressen worden war. Da sich über die Schuldfrage keine Einigung erzielen ließ, nahm der Streit immer heftigere Formen an, und auf der Lessingbrücke versuchte der Werkzeugmeister, seine Frau über das Geländer in die Spree zu werfen. Auf die lauten Hilferufe der Bedrohten eilten Schupobeamte und Passanten herbei und befreiten die Frau. Der wütende Gatte wurde zur Wache gebracht.
Neuköllnische Zeitung, Mittwoch, 12.8.1925
Was ißt der Berliner am liebsten? Die Statistik erfaßt alles, sie gibt auch auf obige Frage Auskunft. Die Berliner ziehen bei Befriedigung ihres Appetites in Gaststätten folgende Speisen vor: Hühnerfrikassee, Eisbein mit Erbsen und Sauerkraut, Rinderbrust, Schweinebraten, Schnitzel, Bockwürste, Herings= und italienischen Salat. Also ein richtiger Carnivore ist der Berliner! Nichtberlinern will es daher auf die Dauer gar nicht in den öffentlichen Abfütterungsanstalten schmecken, weil das Futter in erster und fast einziger Linie aus Fleisch besteht. Und doch ist Gemüse so nahrhaft und schmeckt so gut! Warum nur so wenig Gemüse? Ach Gemüse!
Neuköllner Tageblatt, Freitag, 14.8.1925
Vergessene Kartoffeln? Die Stadt Berlin richtet augenblicklich in der Rudolf=Mosse=Straße, dicht an der Eberswalder Straße auf Magistratsgelände Tennisplätze ein. Bei der Planierungsarbeit entdeckte die ausführende Firma, daß der Boden nachgab. Nachgrabungen ergaben, wie der »Vorwärts« berichtet, daß in dem Terrain Kartoffelmieten lagen, die ungefähr 1000 Zentner Kartoffeln enthielten, natürlich total verfault. Abgesehen von dem furchtbaren Gestank, der die Gegend verpestet, wäre es doch interessant zu wissen, warum der Magistrat niemals diese Kartoffeln, die schätzungsweise aus dem Jahre 1920 stammten, verteilt hat. Sollten die Kartoffeln vergessen worden sein?
Neuköllner Tageblatt, Freitag, 21.8.1925
Ein Denkmal für die Augustaner. Am 11. Oktober soll auf dem Garnisonfriedhof in der Hasenheide den Helden des ehemaligen Königin=Augusta=Regiments und seiner Tochterregimenter Reserve 55 und 202 ein Denkmal geweiht werden. Das Denkmal ist von Professor Dorrenbach geschaffen. Es stellt einen toten Regimentsangehörigen dar, der unter dem Fahnentuch ruht und die Faust mahnend zum Himmel streckt, als riefe er den Ueberlebenden die Worte zu, die auf dem Ehrendenkmal stehen: »Wir starben, auf daß Deutschland lebe!«
Neuköllnische Zeitung, Freitag, 21.8.1925
Verhaftung des Dichters Johannes R. Becher wegen Hochverrats, Aufreizung zum Klassenhaß und Gotteslästerung. Wie wir hören, ist der Dichter Johannes R. Becher, der in letzter Zeit mit Veröffentlichungen revolutionären Inhalts hervorgetreten ist, während seines Urlaubs in Württemberg auf Grund eines telegraphischen Haftbefehls verhaftet worden. Die Festnahme erfolgte, wie wir weiter erfahren, auf Grund einer Anweisung des Oberreichsanwalts, der in den Schriften Bechers Vorbereitung zum Hochverrat erblickt. Inkriminiert ist vor allem das kürzlich beschlagnahmte Buch »Der Leichnam auf dem Thron«. Becher wird ferner vorgeworfen, sich wegen Aufreizung zum Klassenhaß und Gotteslästerung strafbar gemacht zu haben.
Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1925 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.
Eine in Stein gehauene Dolchstoßlegende
Das Augustanerdenkmal auf dem Garnisonfriedhof
Das Denkmal für die Gefallenen des Königin- Augusta-Garde-Grenadier-Regiments Nr. 4 ist wohl das auffälligste Kriegerdenkmal auf dem Friedhof am Columbiadamm.

Auf einem monumentalen Sockel liegt ein gefallener Soldat unter einem Leichentuch, im Tod noch den rechten Arm mit geballter Faust seitlich ausstreckend. In Brusthöhe des Toten liegt sein Stahlhelm über dem zerbrochenen Schwert, das mit Lorbeer umwunden ist. Die Inschrift lautet: »Wir starben, auf dass Deutschland lebe, so lasset uns leben in Euch!« Auf dem Sockel befinden sich die Embleme der beteiligten Regimenter.
Das martialische Monument lässt sich als Ausdruck von Verbitterung über die Niederlage, die Kriegsfolgen und den als Schmach empfundenen Versailler Vertrag lesen, als in Stein gemeißelte »Dolchstoßlegende«. Besonders deutlich wird das in einer zweiten Inschrift auf der Rückseite, die aufgrund ihrer betont rachsüchtigen, gewaltbereiten und revanchistischen Tendenz nach dem zweiten Weltkrieg entfernt wurde: »Exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor.« (»Ein Rächer möge aus meinen Gebeinen erstehen.«)
Die Initiative zur Aufstellung derartiger Monumente ging oft von Veteranenvereinigungen aus und fand im rechten politischen Spektrum, bei nationalistisch-militaristischen Gruppen und auch bei der bürgerlich-nationalen Mitte regen Anklang.
Aus den Reihen der politisch links stehenden Parteien, der Arbeiterschaft und pazifistischen Gruppen gab es jedoch heftige Kritik an einem derartigen Kriegerkult. Für sie galt es bei dem Gedenken an die Kriegsgefallenen, das Grauen des Krieges und das »Nie wieder!« in den Mittelpunkt zu stellen.
mr