Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Neuköllner Tageblatt, Sonnabend, 2.5.1925
Ein wissenschaftlicher Höhenflug. Vom Flugplatz in Brunsbüttel unternahm Dienstag nachmittag der bekannte Flugzeugführer Robert Förster einen wissenschaftlichen Höhenflug mit dem Flugzeug der Deutschen Seewarte. Er erreichte die für Hamburg außerordentliche Höhe von 7200 Metern. Das Thermometer zeigte in dieser Höhe eine Kälte von 44,6 Grad Celsius. Der Flug gab sehr wertvolles Material über die in diesen Höhen herrschenden Luftströmungen. Förster, der infolge der in den oberen Höhen herrschenden starken Kälte erhebliche Frostwunden im Gesicht erlitten hatte, bediente sich während des Fluges eines Sauerstoffapparates.

Neuköllnische Zeitung, Sonnabend, 9.5.1925
Der Rundfunksender für Gleiwitz genehmigt. Das Reichspostministerium hat als Aufstellungsort für den für Oberschlesien vorgesehenen Rundfunksender nunmehr endgültig Gleiwitz bestimmt. Die räumliche Unterbringung ist gesichert; mit der Einrichtung wird daher alsbald begonnen werden. Der neue Sender in Gleiwitz wird nach seiner Fertigstellung vom Breslauer Sender ferngesteuert.

Neuköllner Tageblatt, Sonnabend, 9.5.1925
Das erste Turmhaus. Unweit des Knies in Charlottenburg wird an dem Bau des ersten Wolkenkratzers eifrig gearbeitet. Das erste Turmhaus in Berlin wird hier in einer Höhe von elf Stockwerken errichtet. In dem großen Gesamtbauwerk mit rund 5000 Quadratmetern Fläche werden enthalten sein: Büroräume, Ausstellungs= und Sitzungssäle, ein Konzertsaal für 1200 Personen, Lagerräume, große Buchbindereien und Wohnungen für das Personal. Die großen Eisenkonstruktionen sind schon weit vorgeschritten, auch ein großer Teil des Unterbaues ist bereits fertig. Man darf erwarten, daß das neue Bauwerk nach seiner Fertigstellung eine ansehnliche Bereicherung des Berliner Stadtbildes darstellen wird, wenn es auch für den Baumeister schwer war, eingeengt durch allerlei baupolizeiliche Vorschriften, seine großzügigen Bauabsichten voll zu verwirklichen, hatte doch ursprünglich sogar ein 14 Stockwerke hohes Haus entstehen sollen.

Neuköllner Tageblatt, Sonntag, 10.5.1925
Das erste städtische Jungmädchenheim. Im Gebäude des städtischen Waisenhauses in der Alten Jakobstraße 33-35 wurden Sonnabend vormittag im Beisein des Bürgermeisters Scholz, der Stadträtin Weyl und einer Anzahl geladener Gäste das erste in Berlin geschaffene städtische Jungmädchenheim eröffnet. Als rein städtisches Unternehmen ist das Berliner Jungmädchenheim das erste seiner Art in Deutschland.

Neuköllner Tageblatt, Mittwoch, 13.5.1925
Berlin – Europas zweitgrößte Stadt. Die letzten statistischen Feststellungen haben ergeben, daß Berlin mit 874 Quadratkilometer Bodenfläche nach London die größte Ausdehnung des Stadtgebietes hat. An dritter Stelle kommt Paris mit nur 480 Quadratkilometer, dann Leningrad und Moskau.

Neuköllner Tageblatt, Sonntag, 25.5.1925
Afrika=Lager im Zoo. Im Zoologischen Garten sind jetzt die Einrichtungen der abessinischen Tierfang=Expedition öffentlich ausgestellt worden. Auf einem ausgedehnten Gelände=Komplex neben der neuen Affenstation hat man die Expeditionszelte mit ihren besonderen Einrichtungen, Fanggerätschaften usw. sowie die großen Transportkisten aufgebaut. In diesem Lager laufen afrikanische Haustiere herum; auch ein zahmer Hornrabe und einige Marabus stolzieren gravitätisch zwischen den Zelten und Kisten, die Aufsicht über das Ganze führen zwei Somalis, die in ihrer bunten heimatlichen Tracht die Echtheit der Schaustellung erhöhen.

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1925 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Der Sender Gleiwitz

Der Ort, an dem der Zweite Weltkrieg begann

Der Sender Gleiwitz zählt wegen des fingierten Überfalls durch eine deutsche Spezialeinheit am 31. August 1939, der Teil der Propaganda und Desinformation zur Vorbereitung des Angriffs auf Polen war, zu den bekanntesten Erinnerungsorten der Geschichte des Zweiten Weltkrieges.

Foto: Wikipedia

Am 15. November 1925 wurde der erste Rundfunksender in Gleiwitz in Betrieb genommen. Er diente anfangs als Relaisstation für die »Schlesische Funkstunde« in Breslau. Ab 1927 sendete er auch eigene Produktionen. Als die Sendeleistung nicht mehr ausreichte, wurde 1934 einige Kilometer entfernt ein neuer Sender gebaut. Dessen 118 Meter hoher Sendeturm aus Lärchenholz ist bis heute der höchste Holzturm der Welt und einer der wenigen verbliebenen Sendetürme in Holzbauweise überhaupt. 16.000 Messingschrauben fügen bis heute die Balken des Turmes zusammen. Die Konstruktion war zu ihrer Zeit eine technische Meisterleistung. Wegen der Ähnlichkeit mit dem Vorbild in Paris wurde das Konstrukt früher der »schlesische Eiffelturm« genannt.
Dieser Sendeturm war allerdings nur eine Relaisstation, die die Sendungen des »Senders Breslau« sowie die lokalen Programme ausstrahlte, die in dem alten Studio gemacht wurden.
Die Angreifer konnten daher nur auf ein Notmikrofon zurückgreifen, und die Proklamation: »Achtung, hier ist Gliwice. Der Radiosender ist in polnischer Hand«, konnte nur wenige Kilometer gehört werden. Am nächsten Tag erschien in der gesamten deutschen Presse die Meldung vom angeblichen Überfall. In Hitlers im Rundfunk übertragenen Reichstagsrede am Vormittag des 1. September hieß es dann: »Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen.« Der Zweite Weltkrieg hatte begonnen.
Nach dem Krieg sendete kurzzeitig Radio Katowice, dann diente die Station als Störsender gegen Radio Free Europe. Der historische Antennenturm dient immer noch der Kommunikation, indem er einige Dutzend unterschiedlicher Antennen trägt.
Heute ist der Turm Teil einer Gedenkstätte, die an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erinnert.

mr