Gibt es einen polizeilichen »Neukölln Komplex«?

Keine handfesten Beweise, aber weiterhin Verdacht

Es sollte der »Abschlussbericht« der Sonderkommission »SoKo Focus« zu den Ermittlungen über gewalttätige rechtsradikale Anschläge in Neukölln sein, der dem Abgeordnetenhaus vorgelegt wurde. Leider läuft es in der Realität der Polizeiarbeit nicht immer so, wie wir es aus dem Fernsehen kennen. Dort löst eine »SoKo« den Fall in sechzig Minuten. In Neukölln bleibt es ein Dauerbrenner. Für die von Drohungen und Anschlägen Betroffenen besteht weiterhin Gefahrstufe Eins. »Focus« fand auf den Spuren der mutmaßlichen Täter keine handfesten Beweise, habe aber weiterhin Verdacht, wie es heißt.
Verdächtig bleiben drei polizeibekannte Neonazis, die Mitglieder der NPD seien oder in Kontakt zur AfD stehen sollen. Unabhängige linke Recherchen, unter anderem von »recherche030.info« veröffentlichen regelmäßig Hinweise, vor allem auf diese Aktivisten und ihre Verbindungen. Dort werden die mutmaßlichen Täter mit Foto und Adresse benannt.
Diese »antifaschistische« Antwort reagiert darauf, dass aus der Neonazi­szene auf einschlägigen Internetseiten Fotos von linken Aktivisten und Aktivistinnen veröffentlich werden.
Die Folgen sind keineswegs harmlos. An den Häuserwänden linker Menschen stehen Parolen wie »9 mm für«, »Juden raus«, »Deutschland erwache« oder Hakenkreuze. Es handelt sich nicht um »Schmierereien«, sondern um verbal bedrohliche Angriffe, denen Taten folgen. So hat Familie Schott in der Britzer Hufeisensiedlung seit 2011 sieben Anschläge erlebt, mit »klirrenden Scheiben, Schreien und weglaufenden Tätern«. Gegenüber dem »Tagesspiegel« ergänzt Frau Schott diese Aussage mit: »Man lebt in Dauerangst.« Es trifft Kulturschaffende, Juristen und Politiker. Anne Helm, selbst mit Mord bedroht, sagte zu Kiez und Kneipe bereits in der Septemberausgabe: »Die Neonazis wollen in das Herz eines internationalen Bezirks stoßen.«
Niemand erwartet von der Polizei, dass sie so schnell ist wie im Fernsehen. Einen »Abschlussbericht« vorzulegen, der wieder nichts außer einen Verdacht ergibt und die bisherigen Ermittlungsergebnisse zusammenfasst, ist ein Armutszeugnis. Nicht nur die Neuköllner Politik, sondern der Senat und das Abgeordnetenhaus sind mehr als beunruhigt.
Der Verdacht, dass mindestens ein Polizeibeamter und zwei Staatsanwälte in einen »rechten Komplex« verwickelt seien, ist nicht ausgeräumt. Ein Polizist, der für die Beobachtung der Neonaziszene aktiv war, stand vor Gericht unter Anklage, einen Afghanen geschlagen zu haben. Zwei Staatsanwälte, die mit den Neuköllner Ermittlungen befasst waren, wurden »wegen Befangenheit« von der Generalstaatsanwältin versetzt, die die Ermittlungen nun selbst leitet. Die Standesvertretung der Berliner Staatsanwaltschaft protestierte scharf und sieht darin einen politischen Akt.
Ein kompletter Neuanfang muss gemacht werden. Es sieht ganz so aus, dass das Berliner Abgeordnetenhaus einen Untersuchungsausschuss einsetzen wird, wie Anne Helm es ankündigte. Viel steht auf dem Spiel, in erster Linie die Sicherheit der Menschen, die bedroht und attackiert werden, zudem das Image der Polizei. Innensenator Geisel wird nicht müde zu betonen, es handele sich und »Ausnahmefälle«, die Berliner Polizei sei verfassungstreu.

th