Künstliche Intelligenz

Ein verfluchter Segen

Der Autor.  Foto: rot

Gottfried Wilhelm von Leibniz (1646-1716) erfand das Binärsystem. Damals während der Wende vom 17ten zum 18ten Jahrhundert war der Versuch »…den Geist des Menschen frei machen für höhere Dinge« schon längst aufgenommen. Das Binärsystem diente dazu, ein Mechanisieren des Rechnens zu schaffen. Binär stellt das philosophische Prinzip der Dualität dar. An oder Aus; anwesend oder nicht anwesend; eine Sprache, die jeden Mechanismus von grundsätzlicher Natur umsetzbar macht. Es ist oder es ist nicht; Sein oder nicht-sein, was die Frage ist. Seit dem Rad hat keine Erfindung den menschlichen Fortschritt so geprägt – könnte man sagen. Allerdings hatte von Leibniz in seiner Zeit es sich nicht vorstellen können, in wie weit sein ebenso einfacher wie genialer Durchbruch Einfluss auf die Menschheit nehmen würde.
Nun, wenn es sich um Dualitäten handelt, was sollen die Menschen tun die durch Automatisierung von »Beschäftigt« zu Nicht-beschäftigt« umgeschaltet sind? Nehmen wir das Beispiel eines Webers zur Betrachtung: Aufmerksamkeit fordernd und mühsam war die Arbeit eines Webers selbst bei einfachen Mustern. Je komplizierter ein Muster, desto mehr Aufwand, was für die, die es konnten, das Verlangen eines höheren Preises berechtigte. Schönheit und Feinheit sind begehrt. Nachfrage und Vorrat steuern die Festlegung eines Preises, jedoch was nicht ums Fressen oder Sterben geht fällt in den Rahmen von Subjektivität. 1805 stellte Joseph-Marie Jacquard seinen vollautomatisierten Webstuhl vor. Mit Anwendung von durchlöcherten Holzkarten war es dann möglich, die Muster, bisher nur von Meisterhand geschaffen, massenhaft und schneller zu produzieren. Der Vorrat ist der Nachfrage nachgekommen. Binnen fünf Jahren waren circa 10.000 solche Webstühle in Betrieb. Auf der Holzkarte galt das Dualitätsprinzip: Loch oder kein Loch.
Ein Weber musste sich umbilden lassen, zum Webstuhlhersteller zum Beispiel, oder auswandern, wie so viele es getan haben. Euphemistisch ist der Vorgang als Befreiung zu sehen? Wird das verursachte Elend für so manchen dadurch erleichtert? Was geht uns die Würde eines Menschen an? Darüber hinaus, was geht uns die Würde einer Schöpfung aus menschlicher Hand und anschließend von menschlicher Hand beseelt an? Ist Fleiß, Kreativität und Inspiration in einem vom Hand geschaffenen Meisterwerk in dem Objekt berücksichtigt, also bezahlenswert?
Gegenwärtig steht der moderne Mensch auf der Schwelle zu einem neuen Zeitalter: Das Zeitalter der künstlichen Intelligenz (KI). Das digitale Zeitalter haben wir schon. Wir erleben es, indem wir in der Bahn sitzen, und fast jeder bedient eingefangen sein/ihr Gerät: Das Smartphone, das Tablet, den Laptop.
Zunehmend werden bisher lohnverdienende Beschäftigungen an den Konsumenten verschoben. Es entsteht eine Kultur von Selbstbedienung an den Kassenautomaten im Supermarkt, an der Packstation der Post, beim Einchecken im Flughafen. Jedem soll es bewusst sein, dass jede solcher Beschäftigungen dazu dient, Arbeitsplätze abzuschaffen. Was noch verloren geht, ist die Begegnung: Mensch zu Mensch.
Wir werden anscheinend nicht gefragt, ob wir als Menschen das Leben so haben wollen. Wir werden einfach Schritt für Schritt dorthin geführt. Unsere Neugierde und Bewunderung für das Neue verführt uns. Neugierde hat die Katze gekillt. Um die Zukunft zu gestalten, stellen wir uns nicht die Frage »Sein oder nicht sein?«. Wir müssen uns dringend die Frage stellen: »Werden oder nicht Werden?«

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