»Sie komponiert wie ein Mann«

Neuköllner Oper präsentiert »Casting Clara«

Beim Vergleich weiblicher Rollenbilder aus dem 19. Jahrhundert und heute rühmt sich unsere Gesellschaft großer Fortschritte. Undenkbar, dass es damals kein Frauenwahlrecht gab, keine Gleichberechtigung im gesetzlichen Sinne, ganz abgesehen von strikten Erwartungshaltungen an jede Frau, sie habe Haus und Familie zu hüten. Ein Blick in die Vergangenheit sorgt für Kopfschütteln gegenüber einem patriarchalen Geschlechtermodell und wirft Fragen auf, wie sich Frauen damals persönlich entfalten konnten und wo wir heute stehen.

Clara Schumann mal sieben. Foto: Philipp Plum

Die Neuköllner Oper widmet nun Clara Schumann zu ihrem 200. Geburtstag das Stück »Casting Clara«, in welchem anhand des Lebenswegs der Protagonistin die Komplexität jener Fragen beleuchtet wird. Geboren als Clara Wieck, gilt sie schon mit neun Jahren als die nächste große Klaviervirtuosin und hervorragende Komponistin. Unter dem Druck ihres Vaters wird sie zur kreativen Vollendung geschult, und seine Pädagogik fruchtet. Das Vater-Tochter Verhältnis zerbricht an der Heirat Claras mit Robert Schumann. Acht Kinder bringt Clara Schumann zu Welt, ist ihr Leben lang als Pianistin auf Tour, kümmert sich um ihre Familie und schließlich um ihren schwer kranken Mann, den sie um 40 Jahre überlebt.
Cordula Däuper und Johannes Müller schaffen in ihrer Inszenierung gleich mehrere Spagate. Zum einen werden geistige Konflikte im Dialog durch sieben Claras auf der Bühne verdeutlicht, zum anderen wird der Bogen zwischen damals und heute gespannt, indem die historische Handlung durch komische und harte Brüche in die Gegenwart transportiert wird. So wird selbst der musikalische Leiter, Tobias Schwencke, in das Stück einbezogen, indem er in bester Manier des »Mansplaining« den Schauspielerinnen auf der Bühne einen patronisierenden Brief Robert Schumanns an seine Ehefrau zu erklären versucht und herabwürdigende Passagen des Ehemannes relativiert.
Besonders spannend zu beobachten ist die Dynamik der sieben Claras, in denen die inneren Kämpfe der Künstlerin dargestellt werden, beflügelt durch ihre Gabe, doch stets gefangen in Beziehungen zu den Männern in ihrem Leben. Untermalt durch Schwenckes Arrangements, eingebettet in ein Bühnenbild, das nicht nur räumliche Tiefe erzeugt, wird hier dem Leben einer großen Persönlichkeit Respekt gezollt, mit einem unentwegten Spiel aus Tragik und direktem Humor. Und stets umhüllt der Gedanke den Raum: Auch im Jahre 2019 sind wir weit entfernt von einer gesellschaftlichen Gleichstellung von Mann und Frau.
»Casting Clara« gibt es noch bis zum 20. September in der Neuköllner Oper zu sehen. Mehr Informationen und Tickets gibt es auf der Website:
www.neukoellneroper.de.

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