Petras Tagebuch

Auf Reisen durch Berlin

Beruflich komme ich in Berlin gut rum, und ich muss sagen, es ist in jedem Bezirk ganz anders.
In Charlottenburg werde ich regelmäßig von älteren, sehr gepflegten Damen nach dem Weg gefragt, die so den Einstieg für ein Gespräch suchen. Wenn ich mich nicht ganz schnell aus dem Staub mache, bin ich gleich um eine Lebensgeschichte reicher. Ansonsten scheint sich alles in gutbürgerlichen Bahnen zu bewegen, die es aber auch in sich haben können. Sobald eine Extremsituation entsteht, brechen alte Konflikte, die über Jahrzehnte sorgfältig unter den Teppich gekehrt wurden, auf. Ein zwischenmenschliches Elend offenbart sich.
So etwas gibt es in Neukölln gar nicht oder sehr wenig. Hier geht es direkter zu. Tut manchmal im ersten Moment weh, hilft aber im weiteren Umgang miteinander.Völlig anders dagegen ist der Prenzlauer Berg. Hier leben mindestens zwei Gesellschaften nahezu berührungsfrei nebeneinander. Die einen sind die jungen Familien, die, mit Kinderwagen bewaffnet, schon lange die Straßen erobert haben. Ganz typisch sind die Kindertransportfahrräder mit Elektroantrieb. Mit Selbstverständlichkeit blockieren sie Radwege oder stehen quer auf Bürgersteigen, weil die Kleinen nach einem Schluck veganem Apfelsaft schreien. Überhaupt ist hier veganes Leben ganz einfach, die vegane Infrastruktur ist perfekt.
Daneben gibt es jedoch den nicht so gut sichtbaren Alteingesessenenteil. Zumeist sind dies Menschen mit preußischer Korrektheit und strengen Wertmaßstäben. Die beiden Welten haben so gar nichts miteinander zu tun.
Und dann noch Kreuzberg, meine alte Heimat: Neben Menschen, die noch immer versuchen, ihr altes Kreuzberg zu leben, hat sich im Laufe der Jahre ein enges Band der Regulierungen um die freiheitsliebenden Kreuzberger gezogen, das so manchen vertrieben hat. Mich auch.
Übrig blieben jede Menge Sozialarbeiter und Lehrer, die in bewährter Art ihre Lebens­ideale in ihren Wohnungen, die sie in den 90er-Jahren für kleines Geld käuflich erworben haben, umsetzen.
Froh bin ich dann immer, wenn ich am Ende des Tages in Neukölln eintreffe. Habe ich mit einer Person mal ein paar Worte gewechselt, ist doch eines klar: Wir grüßen uns. Winkenderweise bewege ich mich dann durch die Kieze. Und irgendwie klappt es auch zwischen Jung und Alt, Zugereisten und Alteingesessenen gut. Die Menschen reden miteinander. Das ist schön hier und soll so bleiben.
Parallelwelten gibt es jedoch auch hier. Es fällt mir schwer, an dieser Stelle politisch korrekt zu bleiben. Gemeint ist die Gruppe, die von der ersten bis zur vierten Generation auf Wurzeln nichtdeutscher Herkunft verweisen kann. Auf der anderen Seite befinden sich alle anderen Neuköllner.
Trotz aller politischen Bemühungen findet nur langsam eine Annäherung statt. Diskussionen zwischen den beiden Welten sind noch immer von tiefen Missverständnissen geprägt. Das ist nicht schön, aber viele gute Geister arbeiten daran, dass sich das verbessert.