Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Neuköllnische Zeitung, Montag, 6.12.1920
Nur Kaffee-Einfuhr billiger Sorten. Mit Rücksicht auf die ungünstige Finanzlage des Reiches soll künftig, wie der Kaffee-Einfuhrverein in Hamburg in Ergänzung der vor einigen Tagen veröffentlichten Notiz mitteilt, nur noch Konsumware von Kaffee eingeführt werden. Höhere Qualitäten zu Luxuspreisen sollen im Auslande zur Einfuhr nach Deutschland nicht mehr angekauft werden. Es dürfen künftig in der Regel Kaffeemengen, die mehr als etwa 3 Mark für das Pfund über dem jeweiligen Weltmarktpreis für prima Santos kosten, nicht eingeführt werden. Der Handel muß den Verhältnissen Rechnung tragen und Rücksicht üben. Keinesfalls darf die Einführung von Kaffeemengen vor Eingang des Einfuhrbewilligungsschreibens der Wirtschaftsstelle eingeleitet werden.

Neuköllnische Zeitung, Donnerstag, 16.12.1920
Für 300 000 Mark Federvieh gestohlen. Auf dem Ostbahnhof brachen gestern abend Diebe einen Eisenbahnwagen auf und stahlen aus diesem 945 Gänse, 30 Enten und 16 Puten, die das Eigentum des städtischen Verkaufsvermittlers Kieser in der Zentralmarkthalle waren. Zur Ausführung des Diebstahls benutzten die Täter einen großen Wagen, der mit drei Pferden bespannt worden war, um die schwere Last zu befördern. Der Wert des gestohlenen Gutes beläuft sich auf über 300 000 Mark.

Neuköllner Tageblatt, Sonntag, 19.12.1920
Einbrecher, die ihre Beute bezahlen. Wie teuer manchmal den Herren Einbrechern ihre Beute zu stehen kommt, beweist folgende in Neukölln passierte Geschichte. Hier wurde nachts einer Familie vom Boden die gesamte dort zum Trocknen aufgehängte Wäsche gestohlen. Als die Hausfrau am nächsten Morgen zu ihrem Schrecken den Diebstahl entdeckte, sah sie plötzlich etwas am Boden liegen, das sich bei näherer Betrachtung als eine Brieftasche mit 8000 Mark herausstellte. Diese hatten die Diebe verloren. Da die geraubte Wäsche ungefähr die Hälfte des Betrages wert war, hatte die Bestohlene noch ein Geschäft gemacht.

Neuköllnische Zeitung, Montag, 20.12.1920
Aufsehenerregende Verhaftung eines Ehepaares. Unter dem Verdacht schwerer sittlicher Verfehlungen sind der etwa 30 Jahre alte Ingenieur und Motorenfabrikant Ewald Franz, ein vielfacher Millionär, und seine 22jährige Ehefrau Hedwig auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft verhaftet worden. Beide Eheleute, die seit etwa anderthalb Jahren verheiratet sind, luden junge Damen, die sie in der »besten Gesellschaft« kennen lernten, nach ihrer in der ersten Etage des Hauses Kurfürstendamm 224 belegenen, fürstlich eingerichteten Vierzehnzimmerwohnung ein. Dort sollen sie ihre Opfer durch betäubende Mittel, suggestive Einwirkung und Anwendung von Gewalt ihren unsittlichen Zwecken gefügig gemacht haben.

Neuköllner Tageblatt, Dienstag, 21.12.1920
Der »Goldener Sonntag«. Man nennt den letzten Sonntag vor Weihnachten aus alter Gewohnheit immer noch den »goldenen«, obwohl er eigentlich heute der »papierne« heißen müßte. Denn statt der klingenden Goldstücke schlucken die Registrierkassen heute nur noch mehr oder weniger schmierige Kassenscheine. Aus alter Gewohnheit waren auch am Sonntag wieder Tausende auf den Beinen. In der Bergstraße sowie in der Berlinerstraße vor dem Warenhause Joseph herrschte zeitweise solches Gedränge, daß man nicht gehen konnte, sondern nur geschoben wurde. In den Läden freilich war der Betrieb meist nur schwach. Immerhin ist noch genug gekauft worden, das bewiesen die vielen mit Paketen beladenen Menschen, die man nach Geschäftsschluß in den Straßen und auf den überfüllten Elektrischen sah. Und so durfte mancher Geschäftsmann auch mit dem »papiernen« Sonntag zufrieden sein.

Neuköllner Tageblatt, Mittwoch, 22.12.1920
»Im Namen des Volkes!« Die Ueberschrift von gerichtlichen Urteilen wird jetzt auf Anordnung des Justizministers Dr. von Zehnhoff eine andere Fassung erhalten. Die Gerichte sind angewiesen, über den Kopf von gerichtlichen Urteilen jeder Art künftig, und zwar vom Tage des Inkrafttretens der Verfassung des Freistaates Preußen ab, entsprechend der Vorschrift des Artikels 8 Abs. 2 derselben die Ueberschrift zu setzen: »Im Namen des Volkes!« Zwecks Papierersparnis sind die vorhandenen Formulare handschriftlich zu ändern und aufzubrauchen.

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1920 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek, Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Rechtsprechung »Im Namen des Volkes«

Die Justiz wird demokratisch

Wenn am Ende einer Gerichtsverhandlung der Vorsitzende Richter das Urteil verkündet, be­ginnt dieses stets mit den Worten »Im Namen des Volkes.«


Diese Formel ist Ausdruck dafür, dass die Rechtsprechung wie alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht und die Richter als Vertreter des Souve­räns Recht sprechen. Das heißt jedoch nicht, dass der Inhalt der Urteile auch dem tatsächlichen Willen des Volkes entsprechen müsste. Richter sind bei ihrer Entscheidung allein an das Gesetz gebunden.
Das war nicht immer so. Die verschiedenen Formeln, mit denen der Urteilsspruch über die Jahrhunderte eingeleitet wurde, sind ein Spiegel ihrer Zeit und zeigen Rechts- und Machtverhältnisse auf.
»Im Namen unseres Herrn Jesu Christi« hieß es im sechsten Jahrhundert im salischen Gesetz. Vom Mittelalter bis in die Zeit des Absolutismus war es dann der jeweilige Herrscher, in dessen Namen das Urteil erging. In diesem Verständnis ging alle Staatsgewalt vom Monarchen aus, der durch die Richter nur vertreten wurde.
Die Rechtsprechung im Deutschen Kaiserreich erfolgte »Im Namen des Reichs«. Mit Einführung der Demokratie wurde die Formel angepasst.
Während des Nationalsozialismus wurden die Urteile »Im Namen des deutschen Volkes« verkündet. Daraus wurde während der Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Gründung der Bundesrepublik und der DDR »Im Namen des Rechts«.
Ab 1950 hieß es dann in ganz Deutschland »Im Namen des Volkes«. Diese Formel orientiert sich an der preußischen Verfassung von 1920 und betont damit die demokratische Neuordnung Deutschlands nach dem Ende des Nationalsozialismus.

mr