Alle Beiträge von ro

Muslimischer Friedhof

Suche nach Ruheplätzen

In Berlin sterben jährlich ungefähr 1.000 Muslime, die zumeist in ihren Heimatländern bestattet werden. Immer mehr jedoch wollen hier in der Stadt nahe der Familie beigesetzt werden.
Auf dem Garnisonfriedhof liegen aktuell 1.500 Menschen begraben und der Platz wird knapp. So kam bereits im Jahr 2012 die Idee auf, den Friedhof auf das Tempelhofer Feld zu erweitern, um zunächst Platz für 500 Gräber zu schaffen.
Diese Pläne scheinen nun nach dem Volksentscheid verworfen zu werden. Zu viel spricht gegen eine Erweiterung. Nach dem THF 100-Gesetz ist eine Einzäunung nicht gestattet. Das ist nicht im Sinne der muslimischen Gemeinde. Aus hygienischen Gründen soll eine Umrandung mit einer Mauer verhindern, dass dort Hunde wildern. Hinzu kommt, dass das Gebiet viel kleiner ist, als es von der Politik versprochen wurde. Lediglich für 100 Bestattungen reicht der Platz. Nicht berücksichtigt wurde außerdem, dass der Standort des KZs, wo bis vor Kurzem Ausgrabungen stattfanden, möglicherweise als Bodendenkmal vorgesehen ist.
Offen ist die Sehetlik-Gemeinde gegenüber Beerdigungen auf konfessionellen Friedhöfen, sofern der muslimische Ritus respektiert wird. Von kirchlicher Seite gibt es keine Einwände, sofern die Friedhofsverwaltungen miteinander kooperieren.

ro

Neues Abgeordnetenbüro der Grünen in Nordneukölln

Queere Ausstellung in den neuen Räumen der Wipperstraße

Seit dem 1. Januar 2014 stehen den Berliner Abgeordneten ein erhöhtes Budget für Mitarbeiter und Büroausstattung zu. Dem Ziel einer qualifizierten Arbeit kommt das Abgeordnetenhaus damit ein Stück näher. Die Abgeordneten befinden sich seitdem auf der Suche nach passenden Büroräumen, um den Bürgern ihres Wahlkreises näher zu sein, die hier ihre Fragen stellen oder Beschwerden formulieren können.

kiezbuero1Susanna Kahlefeld und Anja Kofbinger vor ihrem neuen Büro.                        Foto: Christian Kölling

Die Abgeordneten Anja Kofbinger und Susanna Kahlefeld sind nun in der Wipperstraße 25 im Richardkiez fündig geworden. Politisch und neusprachlich korrekt heißt das im April eröffnete Büro »Grünes Bürger*innen Büro« und ist Montag, Dienstag und Donnerstag von 10:00 bis 16:00 Uhr von den Mitarbeitern besetzt. Die Bezirksverordnete Mahi Christians-Roshanai bietet jeden Dienstag von 11:00 Uhr bis 13:00 Uhr Beratung zum Thema »Klärung von Fragen rund um die Schule«. Ob es nun um den Schulwechsel geht, Probleme mit den Lehrern auftauchen oder es Schwierigkeiten mit dem Lernen gibt, darauf versteht sie sich besonders gut.
Im Rahmen von »48 Stunden Neukölln« stellte der Neuköllner Künstler Egon Rathke seine Werke im neuen Bürgerbüro aus. Mit der Ausstellung »My Name Is Not Baby« zeigt er seine queeren Bilder aus Öl in faszinierender Ästhetik. Männer in Posen und Köpfe bunt geschminkter Transen zeigen sich hier von ihren Schokoladenseiten. Der Betrachter beginnt zu schmachten.

transen»Tatjana« und »Frank« von Egon Rathke.   Foto: fh

Rathke beschreibt Nordneukölln als Wimmelbild, in dem er Ruhe und Freude, Empörung und Faszination entdecken kann. Er empfindet den Bezirk queer, straight, laut, dreckig, spannend, überraschend herrlich und manchmal auch unheimlich anstrengend, aber »There´s no place like home«. Es gibt eben keinen vergleichbaren Ort wie Neukölln.

ro

Petras Tagebuch

Gebügelt und gerädert

Ich gehöre zu den Menschen, man mag mich da für spießig halten, die vom Wäschebügeln absolut überzeugt sind. Es ist nicht nur so, dass Stoffe dadurch schöner aussehen, das Bügeln wirkt auch imprägnierend und ist damit ökologisch vertretbar, weil die Waschmaschine geschont wird.
Gebügelt wird bei mir mit Dampfbügeleisen, das mit destilliertem Wasser befüllt wird. Und das ging gerade aus.
Nach einer Nachtschicht, in der ich zweieinhalb Stunden Halbschlaf hatte, habe ich mich nach einem anstrengenden Arbeitstag auf den Weg gemacht, um eben dieses Wasser zu kaufen. Mit viel Gewicht in den Fahrradtaschen und völlig übermüdet fuhr ich mit dem festen Vorsatz, mich gleich ins Bett zu legen, in Richtung meiner Wohnung. Dann aber musste ich hier und da noch anhalten, um einen Klönschnack zu halten. Ein Konzert, das mich interessiert hätte, sagte ich ab. Es war dann 21:00 Uhr, als ich zu Hause ankam.
Da mich das Durcheinander in der Wohnung aufregte, fing ich an, noch ein wenig aufzuräumen. Und als ich endlich meine Taschen ausräumte, stieß ich auf das destillierte Wasser.
Sofort hatte ich das Bügeleisen in der Hand und probierte das Wasser aus. Ja, es war besser als das vorherige, so meinte ich. Und bügelte und bügelte. Alle meine Tischdecken, Hosen, Blusen und Röcke sahen wieder schick aus. Es war 3:30 Uhr, als ich fertig war. Ich war wach und sollte am Morgen um 7:00 Uhr wieder aufstehen.
Das klappte übrigens nicht. Als um 10:00 Uhr das Telefon klingelte, befand ich mich noch immer im Tiefschlaf

Die Geschichte von »SaraBande«

Die musikalische Männerbande garantiert gute Laune

Es begann so flüchtig und hat bis heute Bestand. Die Musikgruppe »SaraBande« hat dieses kleine Kunststück hinbekommen.
Kennengelernt haben sich die Musiker in der Hasenheide in den 80er- Jahren. Dort spielten die Musiker, vorzugsweise Gitarristen, bei Sonnenschein einzeln vor sich hin. Bald aber hatten sie genug von ihren Soloauftritten und kamen sich bei der einen oder anderen Session näher. Und die wurden regelmäßiger. Entscheidend war dann die Idee, jahreszeitübergreifend gemeinsam Musik zu machen. Bei Jörg Hauke fanden sie einen geeigneten Übungsraum. Aus den Sessions wurde ein konstruktives Spielen mit eigenen Kompositionen. Aus der namenlosen Band wurde erst »coffee shop«, ab dem Jahr 2000 »SaraBande«. Der Name lehnt sich an den Barocktanz an, huldigt aber auch Jon Lords Album »SaraBande«.

 

SaraBande»SaraBande« feiert auf dem Tempelhofer Feld.                     Foto: mr

»SaraBande« spielen ohne Schlagzeuger. Der wäre ihnen zu laut und rhythmisch zu dominant. Ihr »acoustic world groove«, besser unter »Berliner Weltmusik« bekannt, können sie überall spielen, in kleinen Räumen leise und ohne Verstärker, gerüstet sind sie aber auch für die größere Hallen. Es ist jedoch egal, wo sie spielen: »SaraBande« sind ein Garantieschein für zuckende Beine und gute Laune.
Auch über mangelnden Erfolg klagen sie nicht. Bekannt ist die Gruppe weit über die Grenzen Neuköllns hinaus. Selbst auf La Gomera treten sie immer wieder auf. Und lumpen lassen sie sich nicht, wenn es um einen guten Zweck geht. So treten sie nicht nur regelmäßig ohne Gage bei dem Jubiläum der Kiez und Kneipe auf, sondern engagieren sich auch mit ihrer Musik für die Erhaltung des Tempelhofer Feldes und andere soziale Projekte.
Die Stammbesetzung von »SaraBande« besteht aus Jörg Hauke (Ukulele, Darbuka, Kleinpercussion, Gesang), Ulrich »Ulisses« Reinartz (Cajon, Drumsounds, Gesang), Marcus »Kucki« Kucksdorf (Bass), Christian Rütz (Gitarre, Gesang), Ralf »Mendle« Binder (Gitarre, Gesang) und Stefan Frey (Flöte, Gesang). Das aktuelle Programm befindet sich auf http://home.snafu.de/ulisses/sarabande. Dort haben musikbegeisterte Hörer die Möglichkeit, in die CD »Cortado« von »SaraBande« reinzuhören und bei Gefallen käuflich zu erwerben.

ro

Petras Tagebuch

Kleidersuche bis zur Weißglut

Der Frühling mit seinen ersten Sonnenstrahlen ist für mich immer die Aufforderung, den Garderobenschrank auf jahreszeitliche Tauglichkeit zu überprüfen. Ganz besonders ist mir dann immer nach weiß. Die dunklen Kleider sind nicht mehr zu ertragen, es muss dann hell werden.
Nun gibt es Lieblingskleidungsstücke, die unerlässlich sind für den Frühling. Dazu gehört ein weißer Rock. Ich machte mich auf die Suche und war noch nicht beunruhigt, im ersten Anlauf erfolglos gewesen zu sein.
Am nächsten Tag ging die Suche weiter. Ich suchte zwischen den liegenden Röcken – ohne Erfolg. Ich suchte zwischen den hängenden Röcken, aber auch da war er nicht.
Selbst zwischen der Bügelwäsche war das gute Stück nicht zu finden. Ich berichtete voller Erstaunen im Freundeskreis über das Verschwinden meines Rocks und dessen Nichtauftauchens trotz meines Engagements.
Felix kennt mich ziemlich gut; um genau zu sein, er kennt mich manchmal besser als ich mich selbst. Sein Vorschlag zu diesem Thema kam prompt: »Schau doch mal zwischen deiner weißen Tischwäsche, da fällt der Rock am wenigsten auf.«
Das erschien mir im ersten Moment weit hergeholt, aber einen Versuch war es doch wert.
Der Rock befand sich tatsächlich zwischen der weißen, noch nicht gebügelten Tischwäsche, ganz hinten, eingequetscht zwischen zwei weißen Tischdecken.

Auf der langen Bank

Die Hasenheide bekommt neue Möbel

Seit 60 Jahren hält er sich bereits in der Hasenheide auf. Als Kind spielte er bei schönem Wetter im Park, während sein Vater Skat spielte. Später setzte Peter Bunzel sich selbst an einen fest installierten Tisch und führte die Tradition seines Vaters mit den anderen Skatspielern fort.
Das ging bis 2007 gut. Da nämlich wurde der Tierpark erweitert, und die Spielertruppe musste umziehen. Nun treffen sie sich in der Nähe des Eingangs an der Karlsgartenstraße. Es ist ein kuscheliges schattiges Plätzchen, an drei Seiten eingerahmt von Bäumen und Straüchern, wo sich die Kreuzberger und Neuköllner Schach- und Skatspieler nun treffen. Hier können sie fernab vom Hasenheidetrubel ihren Spielen und Gesprächen nachgehen.

Stark  beschädigte Parkmöbel in der Hasenheide.  Foto: Peter Bunzel

Die Idylle ist jedoch getrübt. Seit mehreren Jahren verfallen die Sitzbänke. Eine Bank fehlt, einsam steht der Spieltisch mit einem Schachbrett darauf herum. Wer will auch schon im Stehen Schach spielen.  Übergewichtige müssen um das Zusammenbrechen der verbliebenen maroden Sitzmöbel fürchten.
Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer. Die Spieler, insbesondere Peter Bunzel, baten immer wieder beim  Grünflächenamt um eine Instandsetzung, aber die Kassen des Bezirksamts waren leer. Nach den jüngsten Recherchen der Kiez und Kneipe scheint es im Mai soweit zu sein. Das Grünflächenamt sicherte nach Jahren des Verfalls neue Bänke zu.

ro

Petras Tagebuch

Vorfreude auf das Fahrrad, das zum Lippenstift passt

Der Entschluss stand fest, nachdem mir mein Fahrradschrauber den Kostenvoranschlag für die Reparatur meines Fahrrades machte. Es musste ein neues her. Das alte hatte, wenn auch ein bisschen behäbig, gute Dienste geleistet und stand mir immer treu zur Seite.
Nun sollte es mein Traumfahrrad werden.
Diese Marke jedoch erhielt ich nur in einem Berliner Fahrradladen, den ich wegen des schlechten Services eigentlich nie wieder betreten wollte. In diesem Fall allerdings überwand ich meine Sturheit und machte nach mehr als zehn Jahren einen neuen Versuch.
Bewaffnet mit meinem Lieblingslippenstift traf ich im Laden ein und hatte bereits nach kurzer Zeit das Traumfahrrad entdeckt. Die Rahmenhöhe stimmte, die Wendigkeit war nach meinem Geschmack und die knupperkirschrote Lackierung passte hervorragend zu meinem Lippenstift.
Die Liste der Sonderwünsche war lang. Ein besonders stabiler Gepäckträger für das Austragen der Zeitungen, entsprechend auch ein Ständer, der das Gewicht aushält und eine Hydraulikbremse, die das Einfrieren der Bremsen im Winter vermeidet, um nur die wichtigsten Wünsche zu nennen. Natürlich konnte ich ein solches Rad nicht mitnehmen.
Seither befinde ich mich im Stadium der Vorfreude. Das ist nicht unbedingt leicht für meine Umwelt, muss sie sich  doch immer wieder aufs Neue Fahrradgeschichten von mir anhören. Die Lobpreisungen auf das noch nicht vorhandene Vehikel nehmen kein Ende und beschäftigen mich geradezu wie im Rausch. Ich schmiede Pläne. Am Liebsten würde ich mit dem Fahrrad um die Welt reisen. Es entgeht mir auch nicht, dass meine Freunde beim Wort Fahrrad die Augen verdrehen, aber nachsichtig zuhören. Bald ist das Fahrrad da.

Abriss mit Folgen

Der Kiehlsteg ist für die Anwohner, die sich an den kurzen Weg über den Neuköllner Schifffartskanal gewöhnt haben, ein geliebtes Kleinod geworden. Dass er nun abgerissen wurde, ist verkehrstechnisch kein Problem, und die Stadt verändert sich nunmal permanent.
Auch wenn der Senat rechtlich nicht verpflichtet ist, die Anwohner über das Vorhaben zu informieren, so wäre es doch schön gewesen, wenn er es getan hätte. In einer Zeit, in der Bürger sich immer mehr dafür interessieren, wie sich ihr Umfeld ändert und gerne informiert werden möchten, darf die Frage nach dem politischen Instinkt des Senats erlaubt sein.
Wenn sich Bürger von Politikern übergangen fühlen, die von ihnen das Vertrauen erhalten haben, die Geschicke der Stadt zu leiten, dann stimmt da etwas nicht mehr.
Bleibt dem Senat nur noch die Hoffnung, dass die Bürger bis zur nächsten Wahl alles wieder vergessen haben.

Petra Roß

Die Rollkoffervignette wird eingeführt

Minimaler finanzieller Aufwand der Neuköllnbesucher bringt viel für die Bezirkskasse

Auf Antrag des Bau- und Verkehrsausschusses der Bezirksverordnetenversammlung in Neukölln wurde bei der vergangenen Sitzung über die sogenannte »Rollkoffervignette« entschieden. Es handelt sich wie bei der Automaut um eine Vignette, die den Zugang für Touristen gegen eine Gebühr von je fünf Euro  am Anreise- und Abreisetag nach Neukölln erlaubt. Damit werden auch die Touristen erfasst, die nicht in  Hotels übernachten oder bei ihren Neuköllner Freunden. Durch Kontrolle der Neuköllner selbst soll gewährleistet werden, dass sich Touristen an diese Regelung halten. Erwerben kann der Neuköllntourist die begehrte Vignette bei der BVG und im Taxi. Für den BER sind bereits entsprechende Automaten geplant.
Der Fraktionsvorsitzende der SPD Lars Oeverdiek dazu: »Immerhin hat der Bezirk mit Mehreinnahmen von 23,8 Millionen Euro zu rechnen.« Das entspräche einem Anteil von zehn Prozent der Touristen, die jährlich Berlin besuchen, die damit zur Kasse gebeten werden. Daniel Dobberke von der Fraktion der CDU wendet dagegen ein: »Mit diesem Geld kann das Demonstrationsrecht in Neukölln weiterhin bestehen bleiben. Das kann sich der Bezirk mit den Mehreinnahmen locker leisten.«
Der Baustadtrat  Thomas Blesing dagegen betont den erhöhten administrativen Aufwand, den sich seine Abteilung nicht leisten kann. Immerhin rechnet er mit Zusatzkosten in Höhe von 200.000 Euro für die Produktion der Vignetten und Personalkosten.
Eine Allianz bildeten die Piraten und die Linke. Sie positionieren sich gegen die Vignette. Sie sei zu teuer und würde Touristen abschrecken. Im übrigen mache das kein anderer Bezirk in der Stadt.
Bürgermeister Buschkowsky, der sich normalerweise bei den Diskussionen zurückhält, zeigte sich für die Vignette begeistert: »Wo Neukölln ist, ist vorne!«
Die Vignette wird ab dem 1. April eingeführt. Neuköllner, die Rollkoffer ohne Vignette sehen, melden das Versäumnis bitte unter der Telefonnummer 030/902390.

ro.

Neue Flüchtlingsunterkunft in Neukölln

Anwohner und Schulen sind gut auf die neuen Mitbürger vorbereitet

spaethstrBürger  schützen das Asylantenheim vor Neonazi-Demonstranten.Foto: ro

Es geht doch! Was lange versprochen war, wird nun endlich wahr. Auf dem Gelände vom »Möbelhaus Krieger« ist eine Flüchtlingsunterkunft entstanden, die im März eröffnet wird. Das Gelände, das früher bezirkseigen war, wurde vom Möbelhaus vorerst bis Ende nächsten Jahres zur Verfügung gestellt.
Seit Wochen werden die Arbeiten von Nazis beäugt, die diese Einrichtung verhindern wollen. Dank der Anwohner sowie konfessioneller und öffentlicher Einrichtungen ist für die neuen Gäste gesammelt worden. Die Stimmung gegenüber den Neuankömmlingen ist gut, denn alle wissen, dass diese Menschen Schreckliches erlebt haben und zukünftig vor möglichen Übergriffen der Nazis geschützt werden müssen.
Damit kommen zu den bestehenden 29 Plätzen in Neukölln 400 weitere hinzu. Die Bildungsstadträtin Franziska Giffey rechnet mit ungefähr 100 schulpflichtigen Kindern. Obwohl weder Altersstruktur noch Bildungsstand der jungen Menschen bekannt ist, haben sich fünf Neuköllner Grundschulen und drei Oberschulen bereit erklärt, die Schüler aufzunehmen.
Die Kinder kommen in Willkommensklassen. Das sind Lerngruppen, die für alle Kinder ohne Deutschkenntnisse offen sind. Da sich die Klassen nicht nur aus Flüchtlings-, sondern auch aus Migrantenkindern zusammensetzen, erhofft sich der Bezirk weniger Ausgrenzung der Flüchtlinge.

CDU sucht Standorte

Wohin mit den Asylsuchenden?

Bei der Klausurtagung der CDU am 1. März war die Flüchtlingsproblematik in Neukölln durchaus ein zentrales Thema. »Wir bekennen uns zur gesamtstädtischen Verantwortung des Bezirkes Neukölln und sprechen uns für die Aufnahme und die Unterbringung von Asylsuchenden in Neukölln aus. In Neukölln spielt dabei insbesondere die Standortfrage eine wichtige Rolle. Vor dem Hintergrund der weiter steigenden Platzbedarfe darf dabei kein möglicher Standort im Voraus ausgeschlossen werden«, erklärt Gerrit Kringel, Fraktionsvorsitzender in der BVV Neukölln.
Ausgehend davon, dass Neukölln auch  weiterhin Standorte für Flüchtlinge finden muss, wurden Vorschläge erarbeitet. Das ehemalige Gebäude von C&A und die alte Post in der Karl-Marx-Straße, die Freifläche zwischen den S-Bahnhöfen Neukölln und Hermannstraße und der ehemalige Friedhof der St. Thomas-Gemeinde an der Hermannstraße könnten als Fläche für die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften dienen. Als temporäre Zwischennutzung kommen die Freiflächen am Campus Rütli sowie auf dem Tempelhofer Feld infrage. So das Resumé der Klausurtagung der  Neuköllner CDU zur Asylpolitik.

ro

 

Petras Tagebuch

Berlinale japanisch

Es war ein netter Versuch, die Berlinale zu besuchen. Eigentlich ist es mir eine große Freude, jedes Jahr Filme der besonderen Qualität zu sehen.
Dieses Mal jedoch erlaubte die knappe Zeit keinen dieser von mir so geliebten Vergnügungsbesuche. Aber es gibt ja die Kiez und Kneipe, die immerhin verpflichtet. Also plante ich den Besuch von »Berlinale goes Kiez«.
In Ermangelung einer Akkreditierung musste ich den Weg des normalen Bürgers einschlagen und mich an der Schlange im Kino »Passage« an der Kasse anstellen. So gedacht, nicht um die Problematik der Umsetzung ahnend.
Die Schlange vor dieser Kinokasse war nun wirklich ziemlich lang. Es machte mir gar nichts aus, denn das war für mich nur die Garantie, dass auch ich noch einen dieser begehrten Plätze erheische.
Vor und hinter mir stand eine Gruppe von, ich vermute, Japanern. Da sie fast alle einen Mundschutz trugen, müssen es Japaner gewesen sein, die sich vor Berliner Infektionen schützen wollten. Selbstverständlich beharrte ich nicht auf meinen Platz in der Schlange und war bemüht, Abstand zu der Gruppe zu halten, um sie nicht in Angst und Schrecken vor meinen Bakterien zu versetzen.
Es kam wie es kommen musste. Irgendwie muss ich mich vertan haben, denn immer, wenn ich den Abstand suchte, drängelte mich jemand weg, mit dem Ergebnis, dass ich immer weiter nach hinten geriet.
Nun gut, das ist dann manchmal so, dachte ich mir und übte mich weiterhin in Geduld. Langsam wurde mir vor vielen Menschen schwindelig. Es sollte einfach nicht mehr so lange dauern.
Endlich hatte ich mein Ziel erreicht. In der Hoffnung, dass sich die Warterei gelohnt hat, orderte ich Kinokarten für die beiden Berlinalefilme, die hier gespielt werden sollten. Es ist kein Wunder, dass die Karten ausverkauft waren, es war einfach kein guter Tag. Im nächsten Jahr muss ich das anders machen.

Bürgerwunsch und Wahlrecht

Die Volksbefragung zur Bebauung des Tempelhofer Feldes hat deutlich gemacht, dass sich Bevölkerungsgruppen beim Wahlrecht ausgeschlossen fühlen.
Da haben Menschen, die in dieser Stadt leben und hier eine Heimat gefunden haben, eine Meinung, jedoch nicht den richtigen Status. Sie haben entweder nicht die richtige Staatsbürgerschaft oder nicht das entsprechende Alter. Selbst EU-Bürger, die an Kommunalwahlen  teilnehmen dürfen, sind bei der Volksbefragung ausgeschlossen. Das liegt daran, dass hier Landeswahlrecht gilt.
Bei aller Diskussion darum, was Landes- und Kommunalwahlrecht unterscheidet, interessieren sich die Menschen doch für ihre Umgebung und möchten sich an den Entwicklungen beteiligen.
Vielleicht ist es nicht im Sinne der Politik, dass diese Gruppen zu Wort kommen. In der Tat, bequemer wird das Regieren dadurch nicht.

Petra Roß

Ringtausch bei Mietwohnungen

Es ist kein Geheimnis, dass in der Stadt Wohnungsmangel herrscht. Neben dieser neuen Erkenntnis, dass neue Wohnungen gebaut werden müssen, um die  Miethöhe in Grenzen zu halten, gibt es jedoch noch andere Instrumente, um dieses Ziel zu erreichen.
Wenig diskutiert wird bisher der Ringtausch, der bereits von wenigen Wohnungsbaugesellschaften angeboten wird. Hier wechseln Mieter nach Bedarf die Wohnung und schließen dabei einen Mietvertrag zu den alten Konditionen ab.
Häufig ändert sich die Lebenssituation. Die Wohnung ist zu klein oder zu groß, ein Wechsel wird notwendig. Mit einem Ringtausch könnte zumindest eine bessere Ausnutzung der Wohnfläche erreicht werden, was Wohnungsneubau selbstverständlich nicht ausschließt.
Es bedürfte lediglich der Förderung durch den Senat, die Vermieter zu einer Plattform für den Ringtausch zu ermuntern.

Petra Roß

Engagement von unten

Ohne die Eigeninitiative der Sylvia Fee läge das Seniorenhaus im Rollbergkiez weiterhin im tiefen Dornröschenschlaf.
Gilles Duhem vom »Morus14« ist unermüdlich dabei, die Schularbeitenhilfe für Rollbergkinder voranzutreiben. »Mieter kochen für Mieter« ist eine Institution geworden, bei der Berliner Promis ihre Kochkünste unter Beweis stellen dürfen.
Die Bürgerinitiative »100% Tempelhofer Feld« wurde von einer Handvoll Menschen gegründet und sammelt nun Hunderttausende Unterschriften für das Volksbegehren für die Erhaltung des Tempelhofer Feldes.
Selbst die Gründung der Kiez und Kneipe geht auf wenige Menschen zurück, die eine Zeitung machen wollten.
Allen ist gemein, dass das Engagement von wenigen oder Einzelpersonen ausging, die im Schneeballsystem Menschen zum Mitmachen begeistern konnten. Das ist ein besonderes Merkmal für Neukölln und so soll es auch 2014 sein.
Petra Roß

Das Rollbergerwachen

Neues Engagement rückt das Seniorenhaus wieder ins öffentliche Interesse

Völlig unbekannt in Neukölln war bislang das Seniorenhaus im Rollbergkiez. Der Gebäudekomplex  von »Stadt und Land« mit 108 Wohneinheiten, der sich zwischen Morusstraße, Werbellin­straße, Rollbergstraße und Karl-Marx-Straße befindet,  ist aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Zu verdanken ist es Sylvia Fee, die 2011 in das Haus einzog. Zwei Jahre sollte es noch dauern, bis sie die Geschichte des Hauses aufgearbeitet hatte. Seit 2013 wirbt sie mit Tatendrang für das Haus.
Bis 2011 gab es im Hause nicht nur aktive Menschen, auch Fördergelder flossen – für ABM-Kräfte und für die Unterstützung der Aktivitäten des damaligen Seniorenbeirats, der Feiern und Ausflüge organisierte. Mit dem Verschwinden der aktiven Mitglieder wegen Krankheit oder Tod, für die sich keine Nachfolger fanden, fiel das Haus in eine Starre. Konflikte zwischen den neuen Mietern und den Alteingesessenen brachen aus. Das Klima wurde schlechter und der Seniorenbeirat löste sich auf. Jedoch blieben der Gemeinschaftsraum für Feste und die Waschküche erhalten. Im Gemeinschaftsraum hatten sich im Laufe der Zeit jede Menge Küchenutensilien angesammelt, die ungenutzt herumstanden.

Seniorenhaus_gemeinschaftsraumIm Gemeinschaftsraum ist Platz zum Feiern.         Foto:fh

Sylvia Fee konnte das an ihrem Wohnort, der nur von über 60-Jährigen gemietet werden kann, nicht mit ansehen. Sie suchte den Kontakt zu den Bewohnern und konnte einige dafür begeistern, sich wieder für einen Seniorenbeirat einzusetzen, der nun im Februar gewählt wird. Seine Aufgabe wird es sein, Fördergelder zu organisieren für das, was die Bewohner interessiert. Im Vordergrund steht dabei die Geselligkeit, aber auch ein Dienst für die Arztbegleitung ist geplant. Darüber hinaus sind Veranstaltungen in Vorbereitung, die sich mit den Themen der Senioren beschäftigen. In einer Zeit, in der Rentner immer ärmer werden, wollen diese Senioren nach Lösungen für ein würdevolles Leben suchen.Seniorenhaus_innenhof

   Innenhof des Seniorenhauses.       Foto: fh

Ein Anfang wurde bereits mit dem Besuch im »SchwuZ« in der Rollbergstraße gemacht, den Gilles Duhem vom »Morus 14«, Sylvia Fee und der Geschäftsführer des »SchwuZ« Marcel Weber für die Nachbarn organisiert hatten. Zahlreich erschienen die Senioren, und Vorbehalte gegen den Veranstaltungsort konnten abgebaut werden. Ein Mitarbeiter des »SchwuZ« war von den Besuchern hoch begeistert. »Ich wünschte, meine Omi würde mich hier besuchen«, sagte er, womit er im Sturm die Herzen der Besucher eroberte.

ro

Petras Tagebuch

Das Ende eines wundersamen Abonnements

Zum Ende eines Jahres habe ich immer wieder das Bedürfnis, Dinge abzuschließen. Diesmal hatte ich mir vorgenommen, meine Zeitschriftenabonnements zu überprüfen und zu entscheiden, ob ich sie kündige.
Eine der Zeitschriften beziehe ich seit über zehn Jahren und bezahle nicht dafür. Irgendwie muss ich durch die Debitorenbuchhaltung gerutscht sein. Auch erhielt ich nie eine Zahlungsaufforderung oder Mahnung.
Es war mir aber so lästig, sie immer wieder zu entsorgen, dass ich mich nun entschloss, sie zu kündigen. Außerdem wurde die Zeitschrift im Laufe der Jahre in meinen Augen immer schlechter.
Erleichtert stellte ich fest, dass in diesem Fall sogar eine telefonische Kündigung möglich war. Also rief ich, ein wenig ängstlich, dort an. Die Kündigung wurde von einer Mitarbeiterin registriert, es fand das übliche Verkaufsgespräch statt. »Gefällt Ihnen die Zeitung nicht mehr?«, so die Mitarbeiterin. »Ich finde die Zeitschrift richtig gut, aber ich kann sie mir nicht mehr leisten. Irgendwo musste ich beginnen einzusparen und das sind die Abonnements«, erklärte ich. Dann wurden mir diverse Schnupperangebote zu Superkonditionen angeboten, die ich aber alle ablehnte. Sie passten so gar nicht zu meinem mir auferlegten Sparprogramm.
Freundlich fragte die Mitarbeiterin, ob ich die Zeitschrift noch bis Februar beziehen möchte, denn so lange hätte ich ja bezahlt. Ich schluckte, denn ich hatte ja noch nie dafür bezahlt. »Ich meine, die letzte Abbuchung war im November, dann kommt das bis Februar hin«, fantasierte ich der Frau vor. Sie bestätigte mich.
Das begreife ich nicht. Wie kann es sein, dass Geld für eine Zeitung, die ich seit vielen Jahren beziehe und nie bezahlt habe, trotzdem von einem Konto abgebucht wurde? Meins war es jedenfalls  nicht. So etwas könnte mir aber ruhig häufiger passieren.

Weihnachtsmann hat neuen Standort

weihnachtsmann_zieht umt

Schienenersatzverkehr . Foto: pr

Umzug vom Tempelhofer Feld in die U-Bahn

Im letzten Jahr berichtete die Kiez und Kneipe über die Produktionsstätte des Weihnachtsmanns auf dem Tempelhofer Feld. Er suchte sich das Gelände aus, um näher an den Menschen und deren Wünschen zu sein.

Mit der Entscheidung des Senats, einen See auf dem nordwestlichen Teil des Tempelhofer Feldes anzulegen, bekam nicht nur der Weihnachtsmann die Kündigung für seine Produktionsstätte, auch für die Feldlerchen wurden bereits neue Behausungen in Brandenburg geplant.

Für den Weihnachtsmann, der sich ausgesprochen wohl auf dem Feld fühlte, war das bitter. Er war nun in der Situation, von der mancher Neuköllner aus eigener Sicht berichten kann. Aus der Not heraus suchte er das Gespräch mit der BVG, die sich sehr von seiner Idee  geschmeichelt fühlte.

Er brauche nur zwei U-Bahnstationen, um seiner Arbeit nachzukommen, und die sollten in der unmittelbaren Nähe sein. Stolz verwies die BVG auf die Stationen der U8 von der Hermannstraße bis zur Boddinstraße. Hier stellte sie auch die zahlreichen Schutzbunker aus dem zweiten Weltkrieg, die sich dort unter der Erde befinden, zur Verfügung. Damit war dann auch das Problem der Unterbringung der Rentiere gelöst. Ein nobler Stall wurde für sie eingerichtet.

Und damit Weihnachtsmann, Werkstattwichtel und Rentiere einfach aus dem Schacht in die Hermannstraße kommen, hat die BVG dem Einbau von Aufzügen an der Leine- und Boddinstraße zugestimmt. Seit dem Sommer nun produziert das Team des Weihnachtsmanns die Geschenke, die die Neuköllner am 24. Dezember bekommen.

»Es sind angenehme Arbeitsbedingungen hier«, so der Weihnachtsmann. »Mit unseren Befragungen in der Hermannstraße kommen wir gut voran, und wir hoffen, dass alle Beschenkten mit ihren Präsenten zufrieden sein werden.«

Die Geschichte der BVG hinsichtlich der Bauarbeiten am Tunnelschacht ist also lediglich erfunden worden, um den Weihnachtsmann ungestört arbeiten zu lassen.

Im nächsten Jahr, sobald der BUND mit seiner Klage gegen den Bau des Sees wahrscheinlich erfolgreich sein wird, wird auch der Weihnachtsmann wieder auf dem Tempelhofer Feld zu finden sein. Die U-Bahn wird wieder fahren und die Fahrgäste können an den Stationen einen Aufzug nutzen.

ro

Das »SchwuZ« steppt den Rollbergkiez

Konzerte und Ausstellungen finden nun in großzügigeren Räumlichkeiten auf dem Kindl-Gelände statt

Als es sich 1971 in der Schöneberger Kulmer Straße gründete, hat niemand damit gerechnet, dass das Schwulenzentrum, genannt »SchwuZ«, im Jahre 2013 in Neukölln ankommt.
Gefeiert wurde dieses Ereignis am 16. November in der Rollbergstraße 26. Im ehemaligen Flaschenlager auf dem Kindl-Gelände hat das »SchwuZ« nun seine Räumlichkeiten, in denen auch die Eröffnungsparty stattfand.

 schwuZ»SchwuZ« unter dem Rollberg.   Foto: fh

Natürlich zeigten sich alle wichtigen Neuköllner und queeren Menschen aus der Stadt. Egal, welche Farbe die Partei hat, von allen waren Vertreter gekommen. Selbst die Neuköllner Polizei aus dem Rollberg vom Abschnitt 55 zeigte sich und feierte mit.
So ganz freiwillig entschloss sich das »SchwuZ« nicht, vom alten Standort Mehring­­­­damm in Kreuzberg wegzuziehen.  Es wurde zu klein, die Besucherströme passten nicht mehr in die Räume. Hinzu kamen Beschwerden über Lärmbelästigung und zunehmende bauliche Mängel.
So schwer dieser Schritt gefallen ist, die Mitglieder des »SchwuZ« freuen sich heute über ihr neues Domizil in Neukölln. Sie können aufgrund der großzügigen Räumlichkeiten größere Konzerte als bisher veranstalten und planen, als neuen Programmpunkt auch Ausstellungen anzubieten.

schwuz2Politpromis lesen Kiez und Kneipe.    Foto: fh

Sonder- und Kulturveranstaltungen werden das Leben im Kiez bereichern und so sieht das »SchwuZ« auch seinen politischen Auftrag darin, den sich stark verändernden Rollbergkiez mitzugestalten. Hinzu kommt die zukünftige kulturelle Ausrichtung des Kindl-Geländes, das mit den Aktivitäten des »SchwuZ« sicher eine Bereicherung erfahren wird.

ro

Petras Tagebuch

Waldfrevel

Seit vielen Jahren bereits pflege ich die Tradition des Waldfrevels. In der Woche vor dem ersten Advent fahre ich mit der Regionalbahn ins Umland, fahre ein Stück mit dem Fahrrad, um dann Kiefern, Tannen und Fichten aus dem Wald zu holen. Im Rahmen meiner sommerlichen Fahrradtouren suche ich immer die bes­ten Gegenden für den Grünklau aus.
Da ich prinzipiell nie für mich selbst Zweige hole,  sondern nur im Auftrag,  muss selbstverständlich Nachfrage und Angebot aufeinander abgestimmt werden.
In diesem Jahr fuhren wir also in gewohnter Zusammensetzung, nämlich Werner und ich, mit der Bahn nach Oranienburg. Ungefähr zehn Kilometer entfernt fanden wir unseren Adventsschmuck noch in freier Natur. Wir machten uns ans Werk und beluden die Fahrräder mit der Beute. Die Fahrräder waren so vollgepackt, dass die Rücklichter unter den Zweigen verschwanden.
Dann passierte das, worüber wir in den vergangenen Jahren immer scherzten: Der Förster stand vor uns und erkundigte sich nach unserer Fracht. Sie war nicht zu übersehen und es gab auch nichts zu beschönigen. Ja, wir haben in seinem Wald Tannen und Kiefern gestohlen. Er hielt die Hand auf: »30 Euro kostet Sie der Spaß« und belehrte uns über unseren Diebstahl.
Ich überlegte verzweifelt, wie ich den Mann besänftigen könnte und bot ihm einen Tee an. Das wertete er allerdings als Bestechungsversuch und ließ mich ins Leere laufen.
Mein nächster Versuch, mit ihm ein freundliches Gespräch zu führen, bezog sich auf die Jagd. Sie­he da, er wurde vertraulicher. Ich erfuhr, dass er vom Land Brandenburg angestellt sei und tatsächlich in seinem Revier jage. Auf die Frage, was er mit den erlegten Tieren mache, sagte er, er verkaufe sie. »Sie können von mir Rehfleisch kaufen mit Fell und Knochen.« Das wollte ich nicht, ich kann auch Fleisch und Fell nicht trennen.
Das Gespräch wurde immer angenehmer und lockerer. Als wir dann fragten, wie wir denn nun auseinandergehen sollten, gab er uns seine Visitenkarte mit der Bitte, im nächsten Jahr vorher anzurufen. Er fand  inzwischen witzig, dass zwei Berliner ins Grüne fahren, um seinen Wald zu plündern. Bezahlen brauchen wir jedenfalls  ab jetzt nichts mehr.

Der Platz vor der Sparkasse

Als der Oberbürgermeister der Stadt Hof 1982 die Bitte an den Berliner Senat herantrug, einen Platz, eine Straße oder einen Weg nach der fränkischen Stadt Hof zu benennen, berief er sich auf den Leserbrief eines Hofers, der in Berlin lebte.
Dieser Leser brachte sein Anliegen so auf den Punkt: »Durch die Situation der deutschen Teilung ist Hof fast zu einem Vorort Berlins geworden.« Und weiter: »Hof ist darüber hinaus auch die zweite Heimat des RIAS.« Tatsächlich machten viele WestBerliner in der Gegend um Hof im Frankenwald Urlaub, ebenso im nördlicher gelegenen Helmstedt.
Eine Helmstedter Straße befindet sich in Charlottenburg. Dieser Name wird nicht in Frage gestellt.
Allerdings ist selbst der Name »Platz der Stadt Hof« nie von den Neuköllnern angenommen worden. Es war immer der »Platz vor der Sparkasse«.
Eigentlich kann sich die BVV daher die Umbenennung in »Alfred-Scholz-Platz« sparen. Petra Roß

Aufwertung für alle – geht das?

Der Versuch einer Diskussionsveranstaltung in der Genezarethkirche

Gut besucht war die Veranstaltung des Quartiersmanagements Schillerkiez in der Genezarethkirche am Herrfurthplatz, die am 22. Oktober unter dem Thema »Aufwertung für alle – geht das?« zur Diskussion aufforderte.

Auf dem Podium saßen der Neuköllner Baustadtrat Thomas Blesing, Ingo Malta, Geschäftsführer von »Stadt und Land«, Heike Thomas vom »Bündnis für bezahlbare Mieten«,  die Leiterin der Bürgerhilfe in der Allerstraße und zwei Mieter aus dem Kiez.

Zur Einführung in das Thema wurde zunächst ein Film über die Stimmung im Schillerkiez gezeigt. Er wurde vom Quartiersmanagement Schillerkiez in Auftrag gegeben. Interviews mit Bewohnern und Geschäftsleuten belegten die relativ hohe Zustimmung zur Entwicklung im Kiez. Dies wurde im Abspann des Films dokumentiert, in dem schlussfolgernd zu lesen war, dass die Kiezbewohner sich hier wohl fühlen und die Entwicklung der letzten Jahre begrüßen.

Baustadtrat Blesing hört zu.Foto: fh
Baustadtrat Blesing hört zu. Foto: fh

Im Publikum wurde das nicht ganz so gesehen. Es gab laute Wortbeiträge von den Neuköllner Anarchisten, die bedauerlicherweise aufgrund der kirchlichen Raumakustik vom Restpublikum nicht verstanden wurden. Nach dem geglückten Versuch, die Podiumsteilnehmer kurz vorzustellen, verordnetete der Moderator eine Pause, die zur Beruhigung der Gemüter führen sollte.

Bei dieser Gelegenheit entstand ein kurzes Gespräch mit dem Interviewer der Anwohner und Geschäftsleute, die im Film zu sehen waren.  Offenbar sind die kritischen Anmerkungen wohl aus dem Film geschnitten worden.

Nach der Pause ging es dann zwar immer noch turbulent, aber durch die Verwendung von Mikrofonen deutlich verständlicher zu. Während die Neuköllner Anarchisten jedwede Diskussion ablehnten, weil die Positionen ja doch klar seien, gab es vom weiteren Publikum schon Fragen nach der Wohnungspolitik von »Stadt und Land« und nach sozialer Verträglichkeit bei gleichzeitiger Aufwertung  im Stadtteil.

Insgesamt kam das Podium nur wenig zu Wort, die Nerven des Moderators lagen blank, und der Hausherrin, der Pfarrerin Elisabeth Kruse, war der Zorn ins Gesicht geschrieben.

ro

Kiezbewohner in Rage

 Hoch ging es her in der Genezarethkirche, als im Rahmen der »Woche des Besuchs« zum Thema »Aufwertung für alle – geht das?« Bürger und Podium miteinander diskutieren wollten.

Allein der Eingangsfilm, in dem die Situation im Schillerkiez beschönigt wurde, brachte Teile des Publikums in schäumende Wut. Verständlich, wenn die Realität ganz anders erlebt wird. Dass es gerade junge Menschen waren, die nicht diskussionsbereit waren, zeugt davon, dass sie offenbar die Erfahrung machen mussten, dass Diskussionen mit Politikern konsequenzfrei sind. Es ändert sich ja doch nichts. Und wenn Politiker und Interessenvertreter der Wirtschaft gekonnt auf Nebenkriegsschauplätze ausweichen, wer will da noch diskutieren?

Andererseits gab es bei der Veranstaltung durchaus Kiezbewohner, die das Anliegen hatten zu diskutieren. Ihnen wurde die Veranstaltung nicht gerecht. Für sie war der Abend missglückt. Petra Roß

 

Ufa-Bäckerei kämpft ums Überleben

Traditionsreicher alternativer Betrieb ist ins Schlingern geraten

Im alten Westberlin vor 34 Jahren entstand durch die friedliche Besetzung des früheren Filmareals des alten UFA-Geländes in Tempelhof ein neuer Lebensraum für Menschen, die nach alternativen Lebensformen suchten. Der Name Juppy steht noch heute für ein Leben in der Kommune. In dieser kleinen Stadt in der Stadt entstanden Betriebe. Eines der ersten war die UFA-Bäckerei. Ausgerechnet dieser Betrieb, dessen Brot nicht nur gesund Sattwerden bedeutet, sondern auch eine Lebensform darstellt, droht nun das Aus.

Die Bäckerei befindet sich in der Insolvenz. Als im Jahr 2000 der Geschäftsführer der UFA-Bäckerei schwer krank wurde, konnte er sich nicht mehr so um die Bäckerei kümmern, wie es sein sollte. Die Folge war, dass er Kredite aufnahm. Nachdem er ein Jahr später starb, übernahm Elisabeth Karnasch den Betrieb mit immerhin 60 Mitarbeitern. Die Kredite konnten bedient werden bis im vergangenen Jahr die Verkettung unglücklicher Umstände den Betrieb ins Straucheln brachte.

Kleine Bioläden verschwanden, Bioladenketten nahmen ihren Platz ein und erhöhten den Preisdruck. Das Backen von Brot und Brötchen wurde für die UFA-Bäckerei immer unrentabler. Der lange und kalte Winter, der immerhin sechs Monate dauerte, ließ die Absätze auf den Märkten schwinden, die Kunden suchten bei frostigen Temperaturen doch lieber ein Geschäft auf. Wen wundert es, dass bei diesen Temperaturen auch noch der Krankenstand der Mitarbeiter in die Höhe schnellte. Das kostet. Jedoch nehmen Kredite keine Rücksicht auf Wetter und Krankenstand. Erschwerend kam hinzu, dass die Sommerferien sehr früh begannen und somit die Stammkundschaft in den Ferien war.

Unser täglich Brot soll erhalten bleiben.
Unser täglich Brot soll erhalten bleiben. Foto: fh

Die UFA-Bäckerei ist ein wahrlich traditioneller Handwerksbetrieb. In der kleinen Backstube wird noch alles von Hand gefertigt, Maschinen finden hier keinen Platz. Die hier arbeitenden Bäcker müssen also ihr Fach verstehen. Immerhin backen sie je nach Wochentag 1000 bis 1500 Brote und 2000 bis 4000 Brötchen. Selbst das Getreide wird in der hauseigenen Mühle zu Mehl gemahlen. Ab und zu, wenn der Wind genügend bläst, gibt die Bäckerei Getreide an die Britzer und Marzahner Mühle ab, wo ausgebildete Müller nach traditioneller Art Mehl mahlen. Gäste können dann unter fachlicher Führung das Handwerk besichtigen.

Selbst in der aktuellen kritischen Situation ist Karnasch zuversichtlich. Sie saniert den Betrieb, will aber keine Mitarbeiter entlassen. Märkte, auf denen die UFA-Bäckerei ihre Brote verkauft, kommen nun auf den Prüfstand. Sie versicherte allerdings, dass auf dem Schillermarkt und am Wochenmarkt Maybachufer das Brot weiterhin zu kaufen ist. Auch im „Liberda“ in der Pflügerstraße gibt es weiterhin UFA-Brot.

Es wäre schade, wenn die UFA-Bäckerei schließen müsste. Sie ist mehr als ein Biobäcker, sie ist auch Lebensgefühl. Deshalb sollten Brotesser gerade jetzt dieses Brot kaufen.

Neukölln erhält eine Flüchtlingsunterkunft

In der Späthstraße entstehen 300 neue Plätze

Nun wird doch wahr, was die NPD verhindern wollte. Es geht um das geplante Flüchtlingsheim in der Späthstraße. Das Möbelhaus Krieger, Eigentümer des Geländes, stellte es dem Bezirk zur Verfügung. Das »Landesamt für Gesundheit und Soziales« (LaGeSo) wird 300 Plätze dort bauen.
Dabei war das Hickhack  um das Gelände durchaus bezirksgemacht. In vorauseilendem Gehorsam verfolgte der Bezirk eine straffe Sparpolitik und veräußerte Grundstücke an den Liegenschaftsfonds, auf die er jetzt keinen Zugriff mehr hat.
Anwohner, konfessionelle und öffentliche Einrichtungen bieten bereits aktuell Unterstützung für die Flüchtlinge und deren Kinder an.
Aktuell hat Neukölln 29 Plätze für Flüchtlinge, von denen allerdings nur 13 belegt sind. Hintergrund sind die dramatischen Wohnverhältnisse in der Unterkunft, die den Bezirksstadtrat für Soziales, Bernd Szczepanski, bewogen haben, in Zusammenarbeit mit dem LaGeSo den Vertrag des privaten Betreibers zu kündigen.
Allerdings entsprechen  die geplanten 300 Plätze nicht der Quote von 543 Flüchtlingen, die auf Neukölln entfallen. Berlinweit wird in diesem Jahr mit schätzungsweise 5000 Flüchtlingen gerechnet.

Neue Teupe – Ende der 20er-Jahre im Bauhaus-Stil gebautes Obdachlosennachtasyl. Foto: um 1930
Neue Teupe – Ende der 20er-Jahre im Bauhaus-Stil gebautes Obdachlosennachtasyl. Foto: um 1930

Obdachlosenunterkünfte – Mit Mietschulden fängt es oft an

Im Gegensatz zu den Flüchtlingsunterkünften ist Neukölln hinsichtlich der Obdachlosenbetreuung vorbildlich aufgestellt. Der Bezirk hat dem LaGeSo 642 Plätze gemeldet, die das Amt belegen kann. Das ist weit mehr, als andere Bezirke anbieten. Darüber hinaus hält der Bezirk noch weitere 350 Plätze für obdachlose Neuköllner bereit.
Die extrem hohe Obdachlosigkeit, die in Neukölln meist durch Räumungsklagen entstanden ist, macht die hohe Anzahl an Plätzen jedoch notwendig.
Auch hier ist der Notstand wieder hausgemacht. Als vor zehn Jahren die »Agenda 2010« von der SPD unter Gerhard Schröder eingeführt wurde, war Neukölln unter dem noch heute amtierenden Bürgermeister besonders fix und schaffte das Wohnungsamt ab. Damit gab es keine Zuständigkeit mehr für Menschen mit Mietschulden, die eine Räumungsklage bekommen hatten. Sie standen auf der Straße und verursachten Kosten, die der Bezirk übernehmen muss. Der Bezirk rechnet mit zehn bis 25 Euro pro Tag für die Unterbringung jedes Obdachlosen.
Seit 2012 ist das Amt für Soziales jedoch vom LaGeSo zum Handeln gezwungen worden.
Der Bezirk hat acht Sozialarbeiterstellen geschaffen, die ausschließlich dem Zweck der Vermeidung von Obdachlosigkeit dienen. Das Team ist inzwischen gut eingespielt und nimmt seine Aufgabe sehr ernst. Bernd Szczepanski weiß davon ein Lied zu singen. Engagiert fordern diese Mitarbeiter von ihm, dass schnell gehandelt wird. Da muss er seinen Feierabend schon mal etwas nach hinten verschieben.
Diese Arbeit wird aktuell noch verbessert, denn bis vor Kurzem gab es keine Information vom Jobcenter an das Bezirks­amt, wenn bei einem Leistungsempfänger Mietschulden entstanden und eine Räumungsklage drohte. Meist übernahm das Jobcenter die Mietschulden nicht oder bewilligte die Übernahme, wenn schon alles zu spät war. So konnte der Bezirk erst eingreifen, wenn die Obdachlosigkeit bereits entstanden war.
Jetzt bekommt der Sozialstadtrat bei Mietschulden eine sofortige Mitteilung, so dass Wohnungslosigkeit tatsächlich verhindert werden kann, weil das Gespräch mit dem Vermieter noch möglich ist.

Gentrifizierung der Feldlerche

Das geht nun aber wirklich zu weit, dass »Grün Berlin« die Gentrifizierung von 35 Feldlerchenpärchen nach Brandenburg beschließt.
Bekanntermaßen leidet Brandenburg unter industrieller Landwirtschaft, was das Aussterben etlicher Vogelarten zur Folge hatte. Die Verhältnisse haben sich im Laufe der Zeit umgekehrt. Die Vogelvielfalt in den Städten ist heute größer als auf dem Land. Dort herrscht in den frühen Morgenstunden Stille. Kein Vogel, der da singt, dafür Monokultur und Pestizide.
Dahin also will »Grün Berlin« die Vögel aussiedeln, in eine fragwürdige Zukunft. Wahrscheinlich denken die sich, dass sie sich so gegenüber den Vögeln verhalten können wie Hausbesitzer und Investoren gegenüber Neuköllner Mietern, die diese erfolgreich  und von der Politik unterstützt, vertreiben.
Aber, und das soll eine Warnung sein: Die Neuköllner schlafen nicht. Petra Roß

Türkei im Protestfieber

Einfallsreiche Aktivisten verblüffen den türkischen Ministerpräsidenten

 

Es ist wie seinerzeit, als die Weltöffentlichkeit auf den Tahrir-Platz in Kairo schaute. Heute sind es der Istanbuler Gezi-Park und der benachbarte Taksim-Platz.
Der Gezi-Park ist nicht irgendein Park. Ursprünglich war hier ein armenischer Friedhof. 15 Jahre nach dem Völkermord an den Armeniern wurde der Friedhof 1930 völlig zerstört. Die Marmorgrabsteine wurden verkauft, einige wurden für den Bau der Fontäne und der Stufen des Parks verwendet.
Aus dem Widerstand von Umweltaktivisten, die Bäume im Gezi-Park retten wollten, weil dort ein Einkaufszentrum entstehen soll, entstand eine politische Bewegung gegen Ministerpräsident Racep Tayyip Erdoğan.
Seit zehn Jahren beschränkt Erdoğan die Bürgerrechte der Türken. So setzt er sich für die Wiedereinführung der Todesstrafe ein. Das seit 30 Jahren liberale Abtreibungsrecht hat er abgeschafft und bezeichnet Schwangerschaftsabbrüche als Mord. Alkoholkonsum, in der Türkei ohnehin eher unüblich, hat er überflüssigerweise   ab 22 Uhr verboten.
Nachdem der Ministerpräsident seinen Innenminister veranlasste, mit Polizeieinsätzen massiv gegen die Demonstranten vorzugehen, löste er eine Welle des Protests im ganzen Land aus. Bis heute wird in ungefähr 80 Städten demonstriert. Dank Facebook und Twitter vernetzen sich die Demonstranten und lassen sich immer wieder neue Aktivitäten einfallen. Mit dem stillen Prostest, bei dem die Demonstranten standen und schwiegen, konnte der Polizeieinsatz verhindert werden. Mit regelmäßigen Diskussionsveranstaltungen an  brisanten Orten schaffen sie Sensibilität für ihre politischen Anliegen.

DSC_2270
Unterstützung aus Neukölln für die Protestbewegung in der Türkei.

 

Besonders unglücklich erwies sich der Aufruf des türkischen Ministerpräsidenten an die Mütter, dass sie doch ihre Kinder von den Demonstrationen nach Hause holen mögen. Die Mütter packten die Picknickkörbe, gingen zu den Demonstrationen, suchten ihre Sprösslinge und blieben. Erdoğan  hätte wissen müssen, dass es gefährlich ist, sich mit Müttern anzulegen.
Es passt in das Gesamtbild, dass die türkische Presse falsche oder gar keine Informationen publiziert. Gegen die sozialen Netzwerke hat sie allerdings keine Handhabe, so dass die Weltöffentlichkeit sehr wohl einen realen Eindruck von den Geschehnissen bekommt.
Die Türkin Hülya Karci ist die Regisseurin der Neuköllner Theatergruppe »Sultaninen«. Sie besucht regelmäßig die Demonstrationen in Istanbul. Karci freut sich über den kreativen Widerstand und setzt den stillen Protest mit der Theatergruppe spontan auch in Berlin um.
Sie setzt große Hoffnungen in die Bewegung: »In meinem Land wird nichts so bleiben wie es ist«.  So sehen das offensichtlich auch etliche Abgeordnete des Berliner Senats. Auch sie besuchen die Demonstranten und unterstützen das Anliegen nach mehr Demokratie.

Petras Tagebuch

Zwischen den Jahren

Das vergangene Jahr hatte keinen guten Abschluss. Während das Jahr 2012 insgesamt recht gut war, standen die Sterne im Dezember ganz schlecht für mich. Eine Panne ging in die nächste über.

Ein verlorenes Bahnticket, dann wurde mein Geldbeutel gestohlen, mit allen Papieren, versteht sich. Nicht zu vergessen die für teures Geld gekaufte Luxuskörperölflasche, die ich in der Eile herunter gerissen habe, zerschellte und das Badezimmer einer Wellnessbehandlung unterzog.

Dann gab es da noch die eigenartige Geschichte mit meinem guten »Abus«-Fahrradschloss. Als ich abends damit mein Fahrrad abschließen wollte, hatte ich zwei Teile in der Hand. Die Stahlschnur war durchgerostet. Mein Fahrradhändler hatte so etwas noch nie gesehen und die Garantie war seit einem Monat abgelaufen.

Schlussfolgernd wollte ich alles richtig machen, um zu verhindern, dass sich die bösen Geister zwischen den Jahren in Wohnungen einnisten. Also wusch ich keine Wäsche, machte keinen Lärm mit dem Staubsauger, verhielt mich leise und öffnete häufig die Fenster. Fest geschlossen waren sie natürlich nach Silvester, damit sich das Glück von hinten herum herein schleichen kann.

Genutzt hat es nichts: Als ich am Produktionssamstag auf dem Schillermarkt ankam, um den guten Käse von Peppi zu kaufen, fand ich eine leere Stelle vor. Auch mein Lieblingsbutterhändler Gerold Zink, bei dem es auch besten Käse gegeben hätte, war nicht da. Er mache Urlaub, informierte mich die UFA-Bäckerin. Aber immerhin, für Teigwaren war gesorgt. Auch der Eierhändler, den ich gerne dem Spreewald zuordne, weil er so gute Gurken hat,war nicht zu sehen. Das Fehlen des Landsmanns sorgte dafür, dass die Redaktionsmitglieder während ihrer Arbeit keine spirituellen Getränke hatten. Wer weiß, wie diese Zeitung wird!

Das Bild bei dem benachbarten Edeka wunderte mich dann nicht. Da standen die üblichen Marktkunden voller Verzweiflung am Käsestand und kauften, wie ich auch, das was eigentlich nicht so gut schmeckt.

Neue Nutzung für das Tempelhofer Feld

Der Weihnachtsmann verlagert seine Produktion nach Berlin 

Himmelpfort ist passé. Zukünftig können Weihnachtswünsche an die Rollbahn Süd, Freies Tempelhofer Feld, 12101 Berlin geschickt werden.
Bereits im Herbst wurde ein seltsames Flugobjekt gesichtet. Fliegende Rentiere mit einem Schlitten bewegten sich auf die Rollbahn Süd zu. Eindeutig wurde der Weihnachtsmann identifiziert.  Mehrere joggende Väter mit Kinderwagen, deren Brut im Geschwindigkeitsrausch über das Tempelhofer Feld gerollt wurde, legten gefährliche Bremsmanöver hin, um nicht mit dem landenden Flugobjekt zusammenzustoßen.

weihnachtsmann
Weihnachtsmann in Neukölln.                                                                                                                                Foto: mr

Die Wahl des neuen Produktionsgeländes des Weihnachtsmanns ist vernünftig. Die Chance auf Schnee, der nun mal zu Weihnachten gehört, ist in unserer Region gestiegen. Weihnachtsmann und seine produzierende Belegschaft mögen das. Ideale Herstellungsbedingungen gewährleisten mehr Geschenke. Das ist gut für Kinder, die immer mehr haben wollen. »Die Rentiere grasen in der Hasenheide. Dadurch fliegen sie höher, weiter und schöner«, so der Weihnachtsmann. Außerdem sei er dichter am aktuellen Geschehen. »Dies ist die einzige Hauptstadt der Welt, die ein solches Gelände hat. Schon lange habe ich nach einem Gebiet gesucht, wo ich aktuelle Entwicklungen mitbekomme und meine Artikel den modernen Bedürfnissen der Kinder anpassen kann.«

Die umliegenden Initiativen, die die Zukunft des Tempelhofer Feldes beeinflussen wollen, zeigten sich ausnahmsweise einig. »Wir begrüßen den Weihnachtsmann herzlich«, so der deren Sprecher. »Wir unterstützen die sinnvolle Nutzung der Hasenheide für die Rentiere und freuen uns auf viele Geschenke«.       oj

In 100 Jahren nichts gelernt

Was vor 100 Jahren galt, soll auch heute Gültigkeit haben. 1911 wurden Mütter im »Rixdorfer Tageblatt« ermahnt, ihren Kindern in der dunklen Jahreszeit mit Unterhaltung die Zeit erträglicher zu machen.
Geändert hat sich nichts. Nach zwei Weltkriegen, der Frauenemanzipation und der Einführung von mobilen Telefonen und Computern sind wir heute so weit, dass über eine Herdprämie diskutiert wird.
Mütter sollen dafür belohnt werden, dass sie ihre Kinder nicht in den Kindergarten schicken, sondern sich in den eigenen vier Wänden mit ihnen beschäftigen. Später werden sie dann beschimpft, ihrem Erziehungsauftrag nicht gerecht geworden zu sein.
Klar, der Staat will Geld sparen. Aber alle wissen auch, dass die Folgekosten ernorm hoch sein werden, wenn Mütter, die nun wahrlich keine Erziehungsprofis sein können, allein gelassen werden.
Petra Roß

Ein Jahr geht schnell vorüber

Petra Roß über 365 Tage Kiez und Kneipe Neukölln

Ein Jahr Kampf, Hoffnung und Schwitzen am Abgrund. Das sind die größten Wellen der Kiez und Kneipe Neukölln bis heute. Ohne finanzielle und ideelle Unterstützung wäre die Kiez und Kneipe Neukölln im Meer der Zeitungen untergegangen.
Da sind Sie als Leser. Ohne Ihre Kritik und Ihren Ansporn zum Weitermachen hätten wir womöglich den Elan verloren. Schöne Szenen erlebten Redaktionsmitglieder, wenn sie sozusagen inkognito im Lokal saßen und beobachteten, wie andere Gäste das Blatt lasen, sich amüsierten, überrascht waren oder auch mal die Stirn runzelten. Dazu kommen die vielen Fragen, die zu unseren Artikeln gestellt wurden. Sie halfen uns, auf Ihre Bedürfnisse einzugehen und besser zu werden. Das alles ist sehr lebendig, wir hoffen, dass es so bleibt.
Als die Idee zur Neuköllner Ausgabe umgesetzt wurde, gab die Kreuzberger Kiez und Kneipe eine nicht zu unterschätzende Schützenhilfe. So durften wir die Redaktionsräume zunächst mietfrei nutzen. Auch wenn es mal an Artikeln klemmte, war der Herausgeber und Chefredakteur Peter Kaspar zur Stelle. Schnell zauberte er einen Artikel aus dem Ärmel, eben ein Profi. Ist es doch eine Kreuzberger Tochter oder auch Schwester – ganz einig sind sich die Redakteure da noch nicht – das der Zeitungsprofi Peter Kaspar abnickte. Sein Risiko war es, dass der Ruf der Kiez und Kneipe Kreuzberg verdorben wird.
Einen unverzichtbaren Beitrag leisten die Anzeigenkunden. Einige waren von Beginn an dabei und haben die Kiez und Kneipe Neukölln mit ihrer Werbung unterstützt. Sie hatten Vertrauen in unser Unternehmen und scheuten keine Kosten. Inzwischen sind viele Anzeigenkunden hinzugekommen. Auch den Unterstützern im Hintergrund, die insbesondere in den ersten Monaten finanzielle Geburtshilfe leisteten, sei gedankt. Die ersten Druckrechnungen konnten bezahlt werden.
Und was wäre eine Zeitung ohne die vielen Ideengeber, die auf brisante Neuköllner Themen aufmerksam machen und diejenigen, die diese Themen weiterverfolgen und zu Papier bringen. Die Redaktion besteht inzwischen aus acht festen Redaktionsmitgliedern und etlichen freien Mitarbeitern, die alle ehrenamtlich ein schönes Blatt produzieren.

Berlin zeigt Herz

Fußball und Party für kranke Kinder

Die Vorbereitung bei der Neuköllner Polizei läuft auf Hochtouren. Fleißig wird trainiert für das Fußballspiel am 27. August, das im Werner-Seelenbinder Sportstadion stattfinden wird. Am 12. August zeigten die Spieler ihre Geschicklichkeit am Ball auf dem Fußballplatz am Sportcasino in Britz. Auch die beiden Künstler Visa Vie und Bernward Büker, die unter anderen beim musikalischen Rahmenprogramm auftreten werden, erschienen zu diesem Fototermin. Visa Vie ist bekannt als Kiss FM Moderatorin und blickt auf eine beachtliche Karriere zurück, die sie bereits mit 10 Jahren im Maxim Gorki Theater startete. Als junge Autorin erreichte sie in etlichen Literaturwettbewerben vordere Plätze. Später vertonte sie ihre Texte und tritt seither in großen Hallen als Rapperin auf. Bernward Büker ist bekannt als singender Hertha-Fan und Schlagermusiker.

 

Bernward Büker und Visa Vie. Foto:mr

Bei dieser Gelegenheit erschienen auch die beiden Organisatoren Polizeiobermeisterin Melanie Franz und Polizeiobermeister Burkhardt Poschadel mit einem Bild von Frank Zander, das aktuell zu ersteigern ist. Das Bild hat einen geschätzten Wert von 1500 Euro, Angebote werden unter info@berlinerherz.de angenommen. Die Spenden und der Verkauf des Bildes kommen dem ambulanten Kinderhospiz zugute, das zur Zeit etwa 300 sterbenskranke Kinder ehrenamtlich in Krankenhäusern betreut.
Auf die Einnahme von Spenden zielt auch das Fußballspiel ab, das um 11 Uhr startet. Der Eintritt von acht Euro wird von allen, selbst dem Sicherheitspersonal bezahlt, denn hier sieht jeder die Notwendigkeit, einen Beitrag zu leisten. Etliche große Firmen, die sich um das leibliche Wohl der Zuschauer kümmern, stellen Produkte und Verkaufspersonal kostenlos zur Verfügung.
Letztlich lässt dieses Fußballspiel, bei dem Polizisten gegen Prominente spielen, auf großen Unterhaltungswert hoffen. Zecke Neuendorff, Uli Borowka, Ansgar Brinkmann und andere namhafte Sportler wollen es mit den Neuköllner Polizisten aufnehmen. Nach dem Spiel findet auf dem Sportgelände ein Familienfest mit Hüpfburg für die Kleinsten und Musikprogramm, Torwandschießen, Tombola und weiteren Höhepunkten für die Älteren statt.
Kartenvorverkauf: www.berlin-zeigt-herz.de/tickets-eintrittskarten

Wer nichts macht, macht was

Im September ist es wieder an der Zeit zu wählen, diesmal die Bezirksverordnetenversammlung und das Abgeordnetenhaus. Im Jahr 2006 lag die Wahlbeteiligung in Gesamtberlin bei 58%, in Neukölln dagegen nur bei 50%.
Es ist nachvollziehbar, dass die Entscheidung für eine Partei immer die Entscheidung für das kleinere Übel ist und somit unbefriedigend  für den Wähler. Damit hat sich der Wähler aber das Recht erworben, enttäuscht zu sein und seine Wahlpartei oder deren Gegner bei ihrer Arbeit zu kritisieren.
Die größte aller Parteien sind die Nichtwähler, die durch Nichtstun viel bewirken. So helfen sie den ganz kleinen Parteien, wie beispielsweise der NPD durch das Umverteilen der Nichtwählerstimmen leichter zu einem Sitz in den Gremien. Gewolltes Desinteresse schlägt somit um in gezieltes Handeln durch Nichtstun.  Dann sollten sich diese Nichtwähler aber auch mit Kritik am Handeln der Politiker zurückhalten. Auch wer nichts tut, tut etwas.

Same procedure as every year

Bereits im vergangenen Jahr hat der Bürgermeister und Finanzdezernent Heinz Buschkowsky wegen der Haushaltssperre die Verträge der freien Jugendträger gekündigt. Hinterher wurden diese wieder zurückgezogen und die Arbeit konnte fortgesetzt werden. Der Kollateralschaden waren entnervte Mitarbeiter, chaotische Planungen von jetzt auf gleich, eine Beschäftigungstherapie für die BVV, insgesamt viel verschleuderte Energie für nichts.
Obwohl unter der Jugendstadträtin Gabriele Vonnekold  von den Grünen 2010  Einsparungen in noch nie dagewesener Höhe gelangen, wiederholt sich diese Prozedur in diesem Jahr. Der Bürger fragt sich völlig zu Recht, was das soll und fängt an zu mutmaßen.  Vielleicht meint er es gar nicht so und will seine politischen Mitstreiter in Form halten, ein gutes Instrument gegen Langeweile. Oder aber er hat etwas gegen die Grünen, wogegen aber spricht, dass beide Parteien viele gemeinsamen Ziele haben oder gerade deshalb.  Petra Roß

Rasenmäher in der Jugendarbeit

Haushaltssperre verursacht Massenkündigungen bei freien Jugendträgern

Pünktlich zum Ferienstart kam  die Hiobsbotschaft für 60 freie Träger der Jugendhilfe in Neukölln. Heinz Buschkowsky, Bezirksbürgermeister in Neukölln und durchaus bekannt für seine Bürgernähe sah sich gezwungen, ihnen die Verträge vorerst zu kündigen. Das bedeutet, dass viele Projekte der Jugendarbeit wie Schülerhilfe, Mädchentreffs, Krisenunterstützung ab Oktober entweder gar nicht oder nur noch eingeschränkt weitergeführt werden können.

Heinz BuschkowskiY doziert vor Grundschülern. Foto: fh

Betroffen von dieser Maßnahme sind auch die Schulstationen, die 2001 ihre Arbeit aufgenommen haben. Damals erkannte man die Notwendigkeit der Zusammenarbeit von Sozialpädagogen und Sozialarbeitern, da dadurch Sozialarbeit direkt vor Ort in den Grundschulen stattfinden konnte. Die hohe Akzeptanz bewies, dass diese Maßnahme ein Erfolgsrezept für nachhaltige Jugendarbeit ist. Damit ist es womöglich zunächst vorbei.
Verantwortlich für die Spontankündigung soll die Jugendstadträtin der Grünen Gabriele Vonnekold sein, der zum Vorwurf gemacht wird, ein Defizit von über vier Millionen Euro verschwiegen zu haben. Vonnekold erfuhr von den Kündigungen während ihres Urlaubs, den sie auf der Stelle abbrach, um den Sachverhalt in Berlin zu klären. Tatsächlich hat das Jugendamt bereits am 14. Juni in einer Stellungnahme über das Defizit aufgeklärt. Daraus geht aber auch hervor, das sich aufgrund erheblicher nicht steuerbarer und nicht planbarer Faktoren, wie der Zuzug problembelasteter Großfamilien das Einsparpotential in Grenzen hält. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass die Einsparung präventiv wirkender Mittel, wie die Freizeiteinrichtungen, um deren Kündigung es jetzt geht, sehr kurzsichtig sei, weil damit ein unkontrollierter Anstieg der Hilfen zur Erziehung in den nächsten Jahren verbunden sei. Auch ist es unmöglich, die Kosten der Hilfe zur Erziehung aus Personalmitteln zu finanzieren, da das Jugendamt Neukölln im Vergleich zu anderen Bezirken in der Personalausstattung am unteren Rand liegt. Über diese Stellungnahme wurde in der folgenden BVV diskutiert.

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln, Bernd Szczepanski hält die  Kündigungen für eine »verantwortungslose Wahlkampfaktion gegen die grüne Jugendstadträtin«.
Aber noch ist nicht das letzte Wort gesprochen, denn wenn die BVV die Haushaltssperre aufhebt, können die Kündigungen zurückgenommen werden. Unabhängig von der Aufhebung der Haushaltssperre ist für die Arbeit der Jugendträger schon jetzt klar, dass sie teilweise zum Start ins neue Schuljahr alte Projekte neu gestalten und nach neuen Mitarbeitern und Räumen suchen müssen.

 

Kopfstand auf zwei Männern

Petra Roß besuchte achtundachzigjährige Artistin

»Einmal in der Woche ins Fitnessstudio, das muss sein«, erklärt die 88-jährige kleine Frau, die mit beachtlich forschem Schritt unterwegs ist. Die Artistin hat alle Zirkusse Europas gesehen. Während der Saison von April bis Oktober war sie immer mit ihrer Artistengruppe unterwegs, im Winter nahm die Gruppe Engagements in Varietes an. Gerne war sie im Friedrichstadtpalast, um ihr Kunststück, das sonst keiner schaffte, zu zeigen. Auf einer sechzehnstufigen Leiter balancierte sie kopfüber auf den übereinander stehenden beiden Kollegen.

Balanceakt auf der Leiter – Frau Böhmer steht Kopf.Foto: Karl Leher

Bereits im Alter von vier Jahren begann ihr Training. Der Vater, auch Artist, gestattete keine überflüssigen Spielchen mit Freundinnen, nein, es wurde hart gearbeitet. So bestimmte Training und Schule ihr Leben, bis sie mit zwölf Jahren den ersten Auftritt mit ihrem Vater hatte. Damit stand ihre Zukunft als Artistin endgültig fest, vorstellen konnte sie sich schon damals keinen anderen Beruf.
Es kam wie es kommen musste. Eines Tages lernte sie den Mann ihres Herzens kennen, es wundert nicht, dass auch er Artist war und die Heirat war beschlossene Sache. Es wurde eine neue Artistengruppe gegründet, drei Männer, einer davon der Gatte und sie als Perle und Höhepunkt mit der Spezialität auf dem menschlichen Turm auf dem Kopf zu stehen. Als die Ehe nach zehn Jahren aufgelöst wurde, blieben sie trotzdem Kollegen. »Unter Artisten muss man vertrauen können, da gilt es Privates von der Arbeit zu trennen«. Und schon klagt Frau Böhmer darüber, dass die »Privaten«, damit sind die Menschen gemeint, die nicht zum fahrenden Volk gehören, nicht ehrlich sind, man sich nicht auf sie verlassen kann. Natürlich nicht alle, aber einige schon.
Frau Böhmer wäre keine echte Artistin, wenn es nicht auch Unfälle gegeben hätte. Das Schlimmste, das ihr passierte, war ein Armbruch. Trainiert wurde weiter und wenn die Schmerzen zu heftig waren und sie darüber klagen wollte, gab es den geflügelten Spruch »Hab dich doch nicht so«, die Arbeit ging weiter. Bis zu vier Jahren probierte die Gruppe an einem Kunststück, denn vor dem Publikum wollte man sich keinen Patzer erlauben.
Die großen politischen Ereignisse berührten das Leben der Neuköllnerin in keiner Weise. Während des dritten Reichs traten die Künstler an der Front vor Soldaten auf, der spätere eiserne Vorhang war für Artisten durchlässig.
Die Frage, ob sie jemals davon geträumt habe, ein bürgerliches Leben zu führen, beantwortet Frau Böhmer mit einem klaren Nein. Sie hat sich nie etwas anderes vorstellen können, als Artistin zu sein.

Am Anfang war das Wasser

Neben Brot, Heizung und Strom gehört die Wasserversorgung zu den Grundbedürfnissen der Berliner.
Am 13. Februar fand der Volksentscheid über den Gesetzentwurf zur Offenlegung der Wasserverträge statt.  Rund 2,5 Millionen Berliner waren aufgerufen, an der Wahl teilzunehmen. Der Volksentscheid ist dann erfolgreich, wenn mindestens ein Viertel der Wahlberechtigten zustimmt und er ist bindend.  Diese Quote war mit der Auszählung   für das

Volksentscheid - Wasser
Die Machtinstrumente – Der Wähler entscheidet über Gesetze.Foto: fh

vorläufige Wahlergebnis um 20 Uhr 30 erreicht.

Erreicht ist nun, dass alle Verträge und Nebenverträge offengelegt werden und rückgängig gemacht werden müssen, wenn sie nicht im Sinne dieses Gesetzes abgeschlossen   und offengelegt wurden. Das allerdings wird nicht so einfach gehen, denn wie kann ein Bürgerentscheid  die Unterzeichner zwingen, bereits geschlossene Verträge wieder rückgängig zu machen? Da hat dann das Bundesverfassungsgericht noch ein Wörtchen mitzureden.
Und ob es im Interesse der privaten Investoren von Veolia und RWE ist, mag mehr als fragwürdig sein. Die haben nämlich so gut an den Berlinern verdient, weil sie in Sachen Wasser die Preise auf bundesdeutsches Spitzenniveau getrieben haben.
Die Berliner Wähler haben dem Senat gezeigt, dass sie mit seiner Geheimniskrämerei nicht einverstanden sind und mehr Transparenz in der Politik fordern.
Interessanterweise kommen die Berliner auf die Beine, sobald es um das Thema Wasser geht. So war das Bürgerbegehren »Spreeufer für alle«, auch wenn dieses auf Bezirks­ebene war, ebenfalls erfolgreich.  ro