Senat stellt sich gegen Kiezladen

»Friedel54« trotz starker Proteste zwangsgeräumt

Zu sehen, wie ein Polizist einer jungen Frau ins Gesicht schlägt, während sie davongetragen wird, ist kein schöner Anblick. Aber dass eine Zwangsräumung kein friedliches Unterfangen ist, liegt wohl in der Natur der Sache, schließlich ist es das letzte Mittel, die Interessen eines Eigentümers, wenn nötig unter Anwendung von Gewalt, durchzusetzen. Im Fall der »Friedel54« wurden in einem Milieuschutzgebiet, im SPD-geführten Bezirk einer rot-rot-grün regierten Stadt die Eigentumsrechte der luxemburgischen Briefkastenfirma »Pinehill S.a.r.l.« gegen den seit 2004 dort ansässigen Kiezladen durchgesetzt.

Polizei schützt Miethaie.                                                                                                                                                  Foto: pschl

Als das Haus 2016 zum Verkauf stand, brachte die Hausgemeinschaft 1,7 Millionen Euro auf, um das Haus selbst zu erwerben. Die Immobilienfirma »Citec« entschied sich jedoch letztendlich für die zwei Millionen Euro bietende Pinehill. Der Bezirk hätte damals von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch manchen können, so wie er es nun bei der Liberdastraße 10 tatsächlich getan hat.
Bürgermeisterin Franziska Giffey sieht beim Bezirk jedoch keine Verantwortung für das Scheitern der Verhandlungen.
Die Hausgemeinschaft wehrte sich lange gegen Modernisierungsmaßnahmen, die die Mieten in unbezahlbare Höhen getrieben hätten, wobei der Kiezladen eine wichtige Rolle spielte. Schließlich kündigte »Citec« 2015 den Gewerbemietvertrag, im April hätte die »Friedel54« ausziehen müssen.
Am Morgen des 29. Juni begannen schließlich 500 Polizisten mit der Räumung, die bis 13 Uhr andauerte. Etwa 250 Menschen versuchten durch Sitzblockaden, das Eindringen der Polizei zu verhindern. »Berliner Polizisten, Partytouristen« skandierten sie, denn tatsächlich waren die drei aus Hamburg wegen Feierei zurückgeschickten Hundertschaften im Einsatz.
Von einem »angemessenen und besonnenen« Einsatz, wie es Innensenator Andreas Geisel (SPD) in einer Pressemitteilung erklärte, könne nicht gesprochen werden, findet der Sprecher der »Friedel54«, Matthias Sander. Vier Leute verloren das Bewusstsein, Narben platzten auf, Piercings wurden herausgerissen. »Viele werden das noch lange verarbeiten müssen«, sagt Sander.
Trotzdem wollen die Leute der »Friedel54« weitermachen, auch wenn noch nicht klar ist, wie. Davon, dass Zwangsräumungen aktiv zu verhindern seien, ist Sander überzeugt. Er wünsche sich nur, dass auch die Politik endlich aktiv werde, um wirklich etwas gegen Verdrängung zu tun.
In Bezug auf die »Friedel54« erklärte Geisel, »einen Extraweg für einige wenige, die glauben, sie könnten die Spielregeln des Zusammenlebens einseitig bestimmen«, dürfe es nicht geben. Dem könnte man eher zustimmen, würde er renditeorientierte Immobilienfirmen meinen. Denn bei 76 Prozent Mietsteigerung im Reuterkiez seit 2009 ist eigentlich klar, welche Seite im Spiel um die Mieten die Oberhand hat. 

jt