Frau Polinna und ihre Puppen

Wenn das Puppenbein ausgekugelt ist

»Puppenklinik« steht auf dem Schild über dem schmalen Schaufenster des kleinen Souterrainladens in der Richardstraße 99. Und das seit 1981. Sein Inventar und Material sind wesentlich älter und stammen aus einer Reparaturwerkstatt für Puppen in Kreuzberg. Die musste schließen und alles sollte auf dem Müll landen. Als Brigitta Polinna und ihre Freundin, beide Puppenliebhaberinnen, davon erfuhren, fassten sie spontan den Entschluss, nicht nur die alten Schätze zu retten, sondern auch dieses aussterbende Handwerk weiter auszuführen.

Die Doktorin mit ihren kleinen Patienten.                                                                                                                   Foto: rr

Nach kurzer Einweisung durch die Witwe des »Puppendoktors« zogen sie in den Teil Neuköllns, der früher zu Rixdorf gehörte. Polinnas Faible für alte Sachen und ihre Ausbildung als Schneiderin und Kostümbildnerin erleichterten ihr den Einstieg. Inzwischen kennt sie sich bestens aus mit alten Puppen und alten Teddys. »Das ist eine Käthe 24«, sagt sie dem Kunden, ohne überlegen zu müssen. Er bat darum, dass die gelockerten Beine der betagten Gliederpuppe seiner Frau fester gemacht werden. Mit einer Schere wurde kurzerhand der Gummi von beiden Beinen abgetrennt, alles in einen Karton gelegt, der so alt schien, als wären früher darin solche Puppen verkauft worden. Handgeschrieben wurde der Abholschein. Mit einer Schere geteilt kam ein Teil an den Karton, den anderen erhielt der Kunde, wie dunnemals.
Drei Stufen führen hin­ab in eine andere Welt. Jeder Winkel ist voll genutzt. Aus wandhohen Holzregalen, teilweise verziert mit Häkelbordüren, schauen Reihen von Puppenköpfen. Auf der Verkaufstheke stecken in einem alten Vorratsglas mit Deckel unbrauchbare Köpfe und Glieder, als wären sie Teil einer exotischen Präparatesammlung. Vor dem schmalen Schaufenster sitzen Exemplare der Manufakturen Schildkröt oder Sasha, und etwas versteckt auch alte Barbies, für die sie auch eine Schwäche hat.
Polinna sammelt selber alte Puppen. Das Aussehen und die »Verletzungen« alter Puppen verraten viel. Manch eine überstand die Zeit auch, weil sie die Flucht aus Ostpreußen mit überlebte. Nicht zu jeder Verletzung gibt es heute noch originale Ersatzteile. Dann wird auch schon einmal wochenlang nach authentischem Ersatz gefahndet. Besitzer alter Puppen sind voller Geschichten. Sie erzählen von einer Zeit, in der Spielzeug weder beliebig noch ein Wegwerfartikel war.

rr
Puppenklinik – Richardstraße 99 Nur dienstags von 15 – 18 Uhr
Tel: 030 681 60 83