Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus dem »Neuköllner Tageblatt« vor 100 Jahren, bearbeitet von Thomas Reller

Nr. 1 – Mittwoch 01. Januar 1913

Die Aussichten im Baugewerbe für 1913 sind keine rosigen. Nach allgemeinen Ansichten, die in Arbeit- und Arbeitgeberkreisen vorherrschen, verspricht das Jahr 1913 ein Kampfjahr zu werden. Die Konjunktur muß unter der Geldknappheit leiden. Die Balkanwirren und ostasiatischen Probleme können das Vertrauen auf eine Besserung nicht beleben. Die Baulust wird durch den Ueberschuß an Wohnungen nicht angeregt. Die gestiegenen kommunalen und staatlichen Abgaben, die Lasten und Gebühren haben das Angebot auf dem Grundstücksmarkt vermehrt. Die Mieter suchen sich mit kleineren Wohnungen zu behelfen. Man schränkte sich ein. Durch die Geldknappheit wird das Baugeld teurer und weniger flüssig. Selbst die Kommunen und der Staaten legen sich Beschränkungen bei Neubauten auf. Große Bahn- und Kanalbauten gehen der Vollendung entgegen. Tausende von Ziegeleien und hunderte Kalksteinfabriken liegen still. Die vielen Konkurse und Zwangsversteigerungen reden mehr als Wörter es vermögen. Wieviel Existenzen sind ruiniert und wie groß sind die Vermögensverluste allein bei dem Ausfall an Hypotheken? In der Baubranche, Holzindustrie, im Maler- und Dachdeckergewerbe bereitet man sich auf schwere Kämpfe vor. Auch im Bergbau gährt es. An reichlicher und lohnender Beschäftigung fehlt es auch in einigen Zweigen der Textilindustrie, besonders im Herrenschneidergewerbe. Die Aussichten sind danach für das neue Jahr in mancher Beziehung trüber als im vorigen Jahre. Hoffen wir, daß es besser wird und lassen wir uns die Tatkraft und den gesunden Optimismus nicht nehmen.

Kurse der Damenschneiderei. Am Dienstag, den 7. Januar, abends 7 Uhr, beginnen in der „Kaufmännischen und gewerblichen Fortbildungs-Anstalt für Mädchen und Frauen“ in Neukölln, Elbestraße 11-12 wieder Kurse für Damenschneiderei. Der Unterricht dient nicht nur der allgemeinen praktischen Ausbildung für Familie und Hausfleiß, sondern vermittelt auch nach leicht fachlicher Methode die für den Beruf erforderlichen theoretischen und praktischen Kenntnisse und erstreckt sich demnach auf Maßnehmen, Musterzeichnen, Zuschneiden, Nähen, Bügeln und Anfertigung eigener Garderoben. Bei wöchentlich vier Unterrichtsstunden beträgt das monatliche Schulgeld zwei Mark. Hingewiesen sei ferner auf die Kurse für Wäscheanfertigung, Maschinennähen, Putz, Handarbeit und Kunsthandarbeit, sowie auf die handelswissenschaftlichen Kurse. Meldungen täglich beim Leiter Joh. Bergknecht, Richardplatz 21, bei Frau Engel, Bergstraße 46 und bei Lehrer Schröder, Herzbergstraße, Böhmische Straße 28.

Die Zunahme der Frühstücksdiebstähle, die insbesondere in letzter Zeit wieder sehr zahlreich gewesen sind, hat die Bäckerei-Innung Neukölln zur Aussetzung von Belohnungen veranlaßt; wer einen Dieb so namhaft macht, daß dieser dem Strafrichter übergeben werden kann, erhält 5 Mark. Mit welcher Frechheit diese Diebstähle ausgeführt werden, geht daraus hervor, daß die Diebe selbst Häuser, in denen sich ein Polizeirevier befindet, heimsuchen.

Nr. 2. Freitag 03. Januar 1913

Wie es einem Hausbesitzer gehen kann. Ein hiesiger Hauseigentümer schreibt uns: Anfang 1912 bekam ich die fröhliche Botschaft, 25.000 Mark reicher geworden zu sein, nämlich der gemeine Wert meines Hauses wurde um diese Summe erhöht. Obwohl mir das etwas zu viel war, gab ich mich zufrieden, weil ich Laden sowie Wohnungen umbaute (letztere mit Badeinrichtung), wodurch auch der Mietsertrag höher wurde. Bei der darauf folgenden Steuererklärung habe ich selbstverständlich den Gebäudewert, von den ½ Prozent Abzug zulässig ist, um 25.000 Mark höher angenommen. Ich bekam aber die Mitteilung, daß der Gebäudewert um 28.000 Mark ermäßigt sei. Also auf einer Seite zwecks Mehrbelastung 25.000 Mark Mehrwehrt und umgekehrt 28.000 Mark weniger. Auf meinem Widerspruch wurde mir erklärt, ein Sachverständiger hätte den Gebäudewert so abgeschätzt, ich solle Beweise liefern, ab der Gebäudewert höher ist. Ich habe es nicht tun können und die Folge war die Erhöhung meiner Steuern um eine Stufe. Ich bemerke, daß kein Sachverständiger bei mir war, es kann nur vom grünen Tisch oder durch äußere Ansicht die Abschätzung vorgenommen worden sein.