Petras Tagebuch

Schaltjahr

»Schaltjahre haben es in sich«, sagte mir zu Beginn des Jahres eine Unke. Es soll ganz besonders viel Unglück passieren. Klar, das Jahr hat ja auch einen Tag mehr Zeit.
Ich habe daran nicht geglaubt und mein Jahr lief bis November sehr entspannt. Ich konnte nicht auf gravierende Missgeschicke zurückblicken und wurde nicht vom Unglück verfolgt.
Da schlug das Schaltjahr zu. Am Abend nach der Produktion der Kiez und Kneipe hängte ich meine Fahrradtasche auf das Fahrrad und fuhr nach Hause. Dort angekommen, musste ich feststellen, dass die Tasche verschwunden war. Ich fuhr den Weg zurück, aber die Tasche blieb verschwunden. Natürlich war es meine eigene Schuld. Wahrscheinlich habe ich die Tasche nicht richtig eingehängt und verlor sie, als ich ausnahmsweise über Kopfsteinpflaster und nicht über den Bürgersteig gefahren bin.
Dummerweise war meine Handtasche im Fahrradbeutel. Die enthielt meine ganze Existenz wie Personalausweis, Geldbeutel mit einem Wochenlohn, Kreditkarten, weitere Karten, die mir das Leben erleichtern, Mobiltelefon, meine drei Lieblingslippenstifte, meinen Füllhalter und Tabak.
Das allerdings war nicht das Ende des Dramas. Im Fahrradbeutel befanden sich noch eine Lasagne, Leberkäse und Kartoffelsalat und diverse Käse. Die schmutzigen Geschirrtücher konnte ich noch gut verkraften, aber das gute, verloren gegangene Essen löste sofort einen riesigen Hunger aus. Der Kühlschrank jedoch war leer. Ich litt. Kein Tabak, kein Essen, schlimmer konnte es nicht kommen.
Am nächsten Tag versuchte ich, die wichtigsten Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Ganz oben auf der Liste stand die Beschaffung eines neuen Personalausweises. Bei den Wartezeiten in den Bürgerämtern bereitete mir das Sorgen.
Ich rief die Nummer 115 des Bürgeramtes an. Das Glück war wieder auf meiner Seite. Sofort hatte ich eine menschliche Stimme am Telefon, die mich nach meinem Anliegen fragte. Ich erklärte mein Missgeschick in epischer Breite und bekam für den nächsten Tag einen Termin bei einem Bürgeramt in Neukölln. Ich konnte mir sogar eins aussuchen.
Misstrauisch fuhr ich am nächsten Tag zum Bürgeramt in Erwartung, dort den Tag zu verbringen, und wurde wieder überrascht. Nach 15 Minuten Wartezeit war ich dran. Die Sachbearbeiterin war bereits über mein Missgeschick informiert. Nach weiteren 15 Minuten hatte ich einen behelfsmäßigen Ausweis und in drei Wochen soll der neue fertig sein. Das Schaltjahr ist doch nicht so schlimm.