11:40 Uhr

Unpünktlichkeit mit Folgen

Helmut S. (Name von der Redaktion geändert) bewohnt seit vielen Jahren die Seniorenwohnanlage im Rollbergkiez. Er hat eine starre Tagesstruktur. Um sieben Uhr steht er auf, um 8:30 wird gefrühstückt. Um 11:40 fährt der Bus zum Rathaus Neukölln. Er fährt täglich mit diesem einen bestimmten Bus, mit dem Ziel, im Rathaus Neukölln zu Mittag zu essen. Dann geht es wieder zurück in die Wohnung, denn nun ist es Zeit für den Mittagsschlaf. Um 16 Uhr steht Helmut S. wieder auf und besucht um 17 Uhr seine Lieblingskneipe. Dort trinkt er zwei Bier – nicht mehr und nicht weniger, geht nach Hause und bereitet sich auf die Nacht vor. Der nächste Tag gleicht dem vorherigen tupfengleich.

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                                                                                                                                                       Zeichnung: Josephine Raab 2016

Einmal in der Woche wird Wäsche gewaschen, an einem anderen Tag putzt er den Boden und so weiter. So hat jeder Wochentag eine Besonderheit, die sich wöchentlich wiederholt.Und eines Tages war die Struktur weg. Helmut S. war völlig durcheinander, weil er seinen Bus verpasste und prompt funktionierte gar nichts mehr. Der abendliche Besuch in der Kneipe passierte in der Nacht, und er vergaß das Frühstück. Sylvia-Fee Wadehn, Geschäftsführerin der »MoRo Seniorenwohnanlagen e.V.« stellte fest, dass dieser Mann im fortgeschrittenen Stadium an Demenz erkrankt war.
Sie bietet niederschwellige Pflege im Rollberg- und Reuterkiez an. Mit über 30 Mitarbeitern, die ihr vom Jobcenter zur Verfügung gestellt werden, garantiert sie die Pflege und das Funktionieren des Büros. Mit der Trägerschaft ermöglicht sie den Hartz IV-Empfängern einen Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt. »Es gibt einen Grund, warum Hartz IV-Empfänger keine Arbeit haben. Unter anderem haben sie keine Tagesstruktur«, meint Wadehn.
Sie veranlasste für Helmut S. Pflege. Der Kaffee wird nun um exakt 9:15 serviert. Um 11:35 gibt es Mittagessen. Da passierte das Malheur. Der Mitarbeiter war erst um 11:43 bei dem an Demenz erkrankten Mann. Da war er schon weg. Er wurde noch auf dem Weg zur Bushaltestelle gesehen, dann tauchte er nicht mehr auf. Wäre das Essen um 11:35 geliefert worden, wäre das nicht passiert. Der Mitarbeiter hat es nicht genau genug genommen. Wadehn versucht, diese Menschen mit unermüdlicher Geduld wieder in das Arbeitsleben einzugewöhnen. Diesmal ist es schief gegangen.
Sie kämpft seit drei Jahren mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) um die Anerkennung als Pflegeeinrichtung. So lange sie diese Anerkennung nicht hat, kann sie ihre Leistungen auch nicht mit der Krankenkasse abrechnen. Entweder ist der zuständige Mitarbeiter gerade krank oder im Urlaub oder hat keine Zeit, die Argumente für die Verzögerungen nehmen kein Ende.
Einen kleinen Lichtblick und eine große Aufmunterung gab es an diesem grauen 27. Oktober. Lottogelder in Höhe von 100.000 Euro sind bewilligt worden. Damit werden die Eingangstüren der Seniorenwohnanlage im Rollbergkiez umgerüstet. Sie werden mit einer automatischen Türöffnung ausgestattet. Die Senioren stecken ihren Hausschlüssel in ein Schloss, das in der Hauswand installiert ist, und die Tür öffnet sich automatisch. Für alle gehbehinderten Senioren bedeutet diese Neuerung eine lang ersehnte Erleichterung.
ro