Das Ende einer Praxis

Die schwierige Suche nach einem neuen Standort

Ein Geschäftszweig, der keine Konjunkturkrise kennt, ist der illegale Drogenhandel. Ist der Konsument der Droge verfallen, sind Geldreserven schnell verbraucht, und es folgt die Beschaffungskriminalität. Das Leben bewegt sich dann zwischen Geldbeschaffung und Drogenkonsum, alles andere ist egal.
Viele Betroffene möchten raus aus diesem Teufelskreis. Sie möchten ein legales selbstbestimmtes Leben ohne Heroin führen. Eine Wohnung gehört dazu, eine Arbeit und ein Freundeskreis. Für diese Menschen gibt es das Methadonprogramm, das von Ärzten überwacht wird.So auch in der Praxis der Allgemeinmediziner Chaim Jellinek und Michaela Rogge. Rund 250 Patienten behandeln sie seit 1995 in der Karl-Marx-Straße 109 mit dem Ersatzstoff.
Im Mai erhielt die Praxis die Kündigung für Ende Juli. Hier soll ein Hostel entstehen. Die Suche nach Alternativen erwies sich als ausgesprochen problematisch. Private Eigentümer lehnten ab. Die lokale Politik wurde gebeten, bei der Suche zu unterstützen. Falko Liecke, Stadtrat für Gesundheit in Neukölln, suchte das Gespräch mit der Wohnungsbaugesellschaft »Stadt und Land«. Die fand eine Lösung. Das eigene Facility Management in der Morusstraße 16 wurde nach Hellersdorf verlagert und die Bauarbeiten begannen. Der Kündigungstermin 31. Juli war nicht mehr zu halten, es konnte aber eine Verlängerung des Mietvertrages bis 30. November ausgehandelt werden.
Kurz nachdem der neue Mietvertrag unterzeichnet war, sollten die Nachbarn informiert werden. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse. Die Information war durchgesickert, und die Nachbarn befanden sich in heller Aufregung.

spielplatz
Gefahe auf dem Spielplatz?                                                                                                                                                    Foto: fh

Am 15. September fand sich in der Hermannstraße vor dem Gebäude von »Stadt und Land« eine Gruppe von Nachbarn mit ihren Kindern ein. Die Mütter flüsterten den Kindern zu, was sie rufen sollten, was diese mit großen Vergnügen lautstark umsetzten. Die Furcht vor Spritzen auf dem gegenüber liegenden Spielplatz gefährde die Kinder. Sie wehrten sich gegen die Methadonpraxis. Lieckes Versuche, mit ihnen zu reden, gingen im Lärm unter.
Am Abend desselben Tages fand auf Einladung Lieckes im Neuköllner Rathaus eine Informationsveranstaltung für die Initiativen im Rollberg statt. Gemeinsam stellten »Stadt und Land«, die Polizei, der Mediziner Chaim Jellinek und seine Sozialarbeiter und Falko Liecke das Konzept der Methadonpraxis vor.
Der Stadtrat betonte die Wichtigkeit des Methadonprogramms, das kranken Menschen helfe, wieder einen Einstieg in ein normales Leben zu finden. Der Prokurist von »Stadt und Land«, Bernd Schütze, betonte die soziale Verantwortung, die eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft trage. Das Unternehmen werde extra Wachleute für die Praxis abstellen, die für die Sicherheit der Rollberger Anwohner sorgen. Die Polizei betonte, dass sie insbesondere in der Anfangszeit ein waches Auge auf die Praxis und deren Patienten haben werde.
Jellinek stellte den gesamten Ablauf seiner Methadonpraxis dar. Jeder Patient muss eine Hausordnung unterzeichnen, an die er zwingend gebunden ist. Wird die Hausordnung verletzt, fliegt der Kranke aus dem Methadonprogramm raus. Die Patienten haben einen vorgeschriebenen Weg, den sie von und zur Praxis gehen und auf dem sie nicht verweilen dürfen. Das wird von den Wachleuten der Praxis kontrolliert. Die Gefahr, dass von den Patienten Spritzen auf den Spielplatz gelangen, schließt er aus. Seine Patienten nähmen den Heroinersatz Methadon als Saft ein und wollen sich damit von der Droge heilen. An seinem jetzigen Standort gäbe es weder mit den Nachbarn noch mit den sozialen Einrichtungen Probleme. Die Akteure aus dem Rollbergkiez kritisierten die Informationspolitik. Sie wären gerne vor Unterzeichnung des Mietvertrags einbezogen worden und fühlten sich vor vollendete Tatsachen gestellt. Auch wiesen sie darauf hin, dass in dem Kiez doch ein beträchtlicher Anteil der Bewohner so auf Krawall gebürstet sei, dass die Praxis und Patienten mit ihnen Schwierigkeiten bekommen könnten.
Am 23. September fand in der St. Clara Kirche die Informationsveranstaltung für die Anwohner statt. Nachdem das Konzept erklärt war und Vorbehalten gegenüber Methadonpatienten entgegen gewirkt wurde, blieb bei den Anwohnern die Befürchtung vor den ansteckenden Krankheiten TBC, Aids und Hepatitis C. TBC sei so gut wie ausgerottet. Die Übertragungswege von Aids und Hepatitis C seien, so Jellinek »nicht vergleichbar mit einer Sommergrippe.« Es müsse entweder Blut fließen oder ein intimer Kontakt entstehen. Beides sei sehr unwahrscheinlich.
Im November soll der Umzug der Methadonpraxis von der Karl-Marx-Straße in die Morusstraße 16 stattfinden. Wenige Monate später wollen sich Anwohner, Akteure, Politik, Polizei, Ärzte und »Stadt und Land« erneut treffen und die ersten Erfahrungen austauschen.
ro