Der Jungfrauenwahn

Tradition verhindert Freiheit

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Güner Balci mit Arife Yalniz .                                          Foto:mr

In der Hochzeitsnacht muss Blut auf dem Laken sein, sonst gilt die Braut als ehrlos. Notfalls gibt es im Internet künstliche Jungfernhäutchen zu kaufen. Im Film »Der Jungfrauenwahn«, der am 8. Juli im Cineplex-Neukölln, in den Neukölln Arcaden gezeigt wurde, geht Regisseurin Güner Balci der Frage nach, wie sich für junge Muslime, die in einer freien Gesellschaft leben, die Herkunftskultur der Eltern mit den eigenen Wünschen verträgt. Und wieso es für sie lebensgefährlich sein kann, sich sexuelle Freiheit zu erlauben.
Die Gespräche, die Balci im Film mit muslimischen Jugendlichen führt, illustrieren, dass viele muslimische Familien es für die Familienehre als weniger schlimm betrachten, wenn der Sohn mit Drogen dealt, als wenn die Tochter eine sexuelle Beziehung vor der Heirat hat.

Jungfrauenwahn
Die Protagonisten des Films – der Psychologe Ahmad Mansour, die Anwältin Seyran Ateş, die Femenaktivistin Zana Ramadani und die Studentin Arife Yalniz – beschreiben ihren Kampf für ein selbstbestimmtes Leben. Sie mussten mit ihren Familien und Freunden brechen, weil sie sich nicht an Moralvorstellungen halten wollten, die der muslimische Philosoph Al-Ghazali vor 900 Jahren, in seinem »Buch der Ehe« niederschrieb und die bis heute die Geschlechterbeziehung prägen. Jetzt arbeiten sie daran, die Gesellschaft aufzuklären und zu verändern. »Wenn der Jungfrauenwahn ein Ende hätte«, sagt Protagonistin Seyran Ates, »dann wäre der Wahnsinn vorbei.«
Unter Druck stünden aber nicht nur die Mädchen, sondern auch die Jungen, denn auch sie hätten keine Wahl. Mit allen Mitteln müssten sie dem herrschenden Männerbild gerecht werden, sagte die Regisseurin in der anschließenden Diskussion. Sie wünscht sich deswegen auch mehr emanzipierte Männer. Der Dreh- und Angelpunkt seien aber die Frauen, denn sie sind es, die die Kinder erziehen und ihnen beibringen, dass Mädchen sich für den Ehemann aufzusparen haben.
Sie ist sich bewusst, dass sie mit ihren Arbeiten auch Ausländerfeinden und Rechten Munition liefern könnte. Trotzdem hält sie es für unabdingbar, diese Themen anzusprechen. »Man muss sich auch streiten über Themen, die wehtun.« So stellte sie fest, das in den letzten Jahren Frauen vermehrt für diese alten Traditionen eintreten. In den Badeanstalten beispielsweise sei eine zunehmende Feindschaft zwischen Burkinifrauen und Bikinifrauen zu spüren. Denen müsse man klarmachen, »die Freiheit, die wir hier leben, erlaubt ihnen ihre selbstgewählte Unfreiheit. Für diese Freiheit müssen wir kämpfen.«

mr