»Ein Kalifat ohne Land ist handlungsunfähig«

Der Berliner Senat verzweifelt an der Unterbringung der Flüchtlinge, die zu Tausenden in die Stadt kommen, der »Islamische Staat« agiert als Terrorgruppe weltweit, in Syrien ist Krieg, der gesamte arabische Raum ist in Aufruhr. Einer, der bei all den Krisen den Überblick behalten muss, ist Fritz Felgentreu. Felgentreu ist Bundestagsabgeordneter für Neukölln und zugleich Mitglied im Verteidigungsausschuss. Er muss sich von Berufs wegen fast täglich mit den Konflikten dieser Welt auseinandersetzen.

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Peschmerga mit deutscher »Milan«-Panzerabwehrrakete.                                                   Foto: imurgo.com

Während eines Hintergrundgespräches mit Kiez und Kneipe erläutert Felgentreu, dass der Kampf des »Islamischen Staates« eine Ursache für die Flüchtlingsströme nach Europa sei. Heute leben in etwa fünf Millionen Menschen auf dem vom IS beherrschten Gebiet in Syrien, Libyen und im Irak. Das selbsternannte Kalifat finanziert seinen Terror durch Waffenschmuggel, den Verkauf von Öl, Verkauf von historischen Schätzen und enorm hohen Steuern. Felgentreu ist der Meinung, dass eine Schwächung der Kampfkraft des IS besonders herbeigeführt werden könne, wenn dieses Land befreit werde und die Geldströme unterbunden werden können. »Ein Kalifat ohne Land ist handlungsunfähig«, so der Bundestagsabgeordnete.Im Gespräch weist Felgentreu darauf hin, dass Deutschland eine besondere Verantwortung im Kampf gegen den IS habe, da auch Deutsche am Dschihad der Terrororganisation teilnehmen. Felgentreu meint, vom IS gehe eine Faszination des Bösen aus, der bislang etwa 870 IS-Kämpfer aus Deutschland in das Kampfgebiet gefolgt seien. Nach Schätzungen von Experten sind etwa ein Drittel dieser Kämpfer nach Deutschland zurückgekehrt. Es sei dringend notwendig, so Felgentreu, diese Rückkehrer zu überwachen und das Netzwerk des IS in Deutschland und im Nahen Osten zu zerschlagen.
Die Begleitung der diplomatischen Prozesse durch Deutschland sieht Felgentreu als wichtigstes Instrument, um einen Friedensprozess in der Krisenregion einzuleiten. Und doch geht es nicht ganz ohne die aktive Unterstützung im Kampf gegen den IS. Daher schickt Deutschland seit 2014 Sturmgewehre und die Panzerabwehrrakete »MILAN« an die kurdischen Peschmerga im Irak. Der Einsatz der »MILAN« ist für die Peschmerga besonders wertvoll, weil mit ihnen beispielsweise gepanzerte Fahrzeuge aus größerer Entfernung bekämpft werden können. Diese Waffe ist bei den Kurden so hoch angesehen, dass im vergangenen Jahr der am meisten vergebene Jungenname Milan war. Trotz der Erfolge gegen den IS ist die Waffenhil­fe in Deutschland umstritten, da es so schwierig ist, den Verbleib von Kleinwaffen wirksam zu kontrollieren.
Die furchtbaren Anschläge mit 130 Toten sowie hunderten Verletzten im vergangenen November in Paris haben dem IS-Terrorismus in Europa eine neue Dimension verliehen. Seitdem betei­ligt sich Deutschland, auf Anfrage Frankreichs, am Kriegseinsatz gegen den »Islamischen Staat«. Die Aufklärungsflüge der Bundeswehr über Syrien erhöhen die Wirksamkeit von Luftschlägen gegen den IS. Sie tragen also auch dazu bei, das Risiko ziviler Opfer zu verringern, weil sie eine genaue Zielbestimmung ermöglichen.
Zum Ende des Gespräches weist Felgentreu darauf hin, dass die Zerschlagung des IS nur ein Baustein einer nachhaltigen Friedenspolitik sein könne. Langfristig müsse es darum gehen, den Menschen vor Ort eine Lebensgrundlage frei von Terror und Gewalt zu bieten. Hierfür seien auch wirtschaftlicher Aufbau durch fairen Handel und eine restriktive Waffenexportpolitik eine Voraussetzung. oj