Aufbruch zu neuen Ufern

Der Kunstraum »t27« ist in die Mainzer Straße gezogen

Der »Kunstraum t27« ist Geschichte. Nach zehn Jahren erhielt der »Kunstverein Neukölln« vom Eigentümer die Kündigung, ein Schick- sal, das auch die anderen Gewerbemieter in der Remise ereilte.
Aber bevor es an den Umzug ging, wurde vom 23. bis 25. Oktober mit Lesungen, Konzerten, Performances und einer letzten Ausstellung von den großzügigen Ausstellungsräumen in der Thomasstraße Ab- schied genommen.

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»T27« in kleinen Stücken.                                                                                                                                                      Foto: mr

Unzählige sich überlagernde Rechtecke aus Klebeband in unter-schiedlicher Größe und Farbe an den Wänden und auf dem Boden markieren all die Stellen im Raum, an denen in den letzten zehn Jahren Malereien, Zeichnungen, Installationen, Skulpturen, Grafiken gehangen, gestanden oder gelehnt haben. Es ist der Versuch, 108 Ausstellungen mit mehr als 400 Künstlern in Schichten und Über- lagerungen sichtbar zu machen. Wer wollte, konnte sich ein Stück davon mit nach Hause nehmen, denn am Ende des Abends wurden DIN A4-Blatt große Ausschnitte verkauft.Davor ging es in einem Podiumsgespräch mit dem Thema »Platz-angst« aber erst einmal um die Situation des Raums für Kunst in Neukölln.
Künstler, die häufig der Motor der Entwicklung eines Stadtteils sind, sind ebenso häufig auch die ersten Opfer der Gentrifizierung, weil sie die Miete für ihre Räume nicht mehr bezahlen können. Martin Steffens, Vorsitzender des »Kunstvereins Neukölln« wünscht sich deshalb in Milieuschutzgebieten einen Sonderstatus für Kunst- und Projekträume.
Das sei rechtlich kaum möglich, solange diese Räume in Privatbesitz seien, entgegnete Neuköllns Kulturstadtrat Jan-Christopher Rämer. Er plädiert statt dessen dafür, dass die Bezirke mehr Gelder aus der Citytax erhalten. Bei der Verwendung dieser Gelder müsse das Hauptaugenmerk auf der Frage liegen: »Wie können diejenigen bleiben, die hier schon immer Kunst gemacht haben?« Wichtig sei es außerdem, dass Künstler an die Mitglieder des Abgeordnetenhauses appellieren, mehr Geld für Kunst und Kultur in den Haushalt einzu-stellen, statt diese Bereiche immer als erstes wegzusparen. »Ohne Kunst und Kultur im Zentrum läuft der Bezirk Gefahr, langweilig zu werden.« Und auch bei den Eigentümern müsse ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass ein Kunstraum möglicherweise auch die eigene Immobilie aufwerten könnte.
Das sei aber nur realistisch, wenn Investoren einen Mehrwert sehen, meinte dazu die Stadtplanerin Stefanie Burgstaller. Sie sieht die Zukunft eher in der vielfältigeren Nutzung der Räume durch Kunst, Gewerbe oder Bildungs­angebote.
Tiny Domingos, Sprecher der »Koalition der Freien Szene Berlin«, teilte mit, dass die freie Szene in Berlin 2016 vom Land mit 3,6 Millionen Euro unterstützt wird. Das sei zwar sehr erfreulich, aber längst nicht ausreichend, wenn dann doch alles wieder für die Miete draufgehe, meinte Martin Steffens dazu.
Am Ende des Abends waren die Besucher eingeladen, beim Umzug emotionalen Beistand zu leisten und auch gleich mit anzupacken, um in einer symbolischen Prozession »bedeutsame Gegenstände« wie Topfpflanzen, Stühle und vielleicht das eine oder andere Bild von der Thomasstraße in die neue, erheblich kleinere Galerie in der Mainzer Straße 42 zu überführen und sich dabei gleich einen Überblick über die neuen Räumlichkeiten zu verschaffen.
Mit einem realistischen Blick in die Zukunft sagte Martin Steffens, ein Projektraum »m42« solle es nicht werden. »Wer weiß schon, wann wir wieder weichen müssen«.

mr