Zunge, Hirn und Herz

Die pervers innovative Küche des »Industry Standard«

IndustrieStandard
DIE Fenster zum Herd.                                                                                                                                                             Foto: hlb

Neue Restaurantstandards werden derzeit auf der Sonnenallee gesetzt. Das »Industry Standard« fällt allein schon durch seinen großzügigen, offenen und schon von der Straße aus einsehbaren Küchenbereich auf. Hier wuseln konzentriert, aber lässig junge, aber erfahrene Köche und Köchinnen mit Wurzeln in Mexiko, Kanada oder Norwegen und kreieren auf gute Ausgangsprodukte fokussierte Gerichte, die vor allem durch ihre Kreativität bestechen.
Geschäftsführerin Viktoria Anhold kann auf ihr Team vertrauen. Experimentell, extraordinär bis intellektuell kommen manche Kombinationen daher, die die Kochkünstler teils auch selbst an die einfachen, hellen Holztische bringen. Kalbshirn, Schweinezunge oder Lammherz mögen nicht jedermanns Sache sein, doch die ganzheitliche Verwertung der Tiere liegt den Betreibern eben am, äh, Herzen, und, und darauf kommt’s ja an, sie überzeugen das internationale Publikum. Selbstfermentierte Gemüse wie etwa der Rotkohl zum zarten Tartar, jetzt schon ein Klassiker der Karte, zu dem es ansonsten noch Fetzen knuspriger Hähnchenhaut, Meerrettichjoghurt, Kapern und Eigelb gibt, oder eingelegte Radieschen und Rüben zeugen ebenso von der zeitgemäßen, aber traditionsbewussten Weltläufigkeit der Küche. Auch das Sonntagsspecial Scotch Eggs, vulgo Eier in Wurstbräthülle, oder die Auster auf Mexikaner bekundet: Hier geht es um Spaß am Entdecken und Neugier auf Genuss. Am besten bestellt man sich eh mehrere Gerichte und teilt sie und die ungezwungene Stimmung untereinander.
Barmann Gordon aus Irland kredenzt dazu, wenn er nicht die LPs wechselt, entspannt originelle Cocktails, etwa mit hausgemachten Bitters oder in Knochenmark gewaschenem(!) Bourbon. Die Auswahl der biodynamischen Weine wird vom Weinhändler »Viniculture« kuratiert, die Bierflaschen kommen aus Andechs.
Den besten Blick aufs Kochgeschehen hat man am kleinen Bartresen, wo sich auch nach Küchenschluss noch Bar­snacks wie das gute alte Solei oder Peking-Enten-Rillette naschen lassen. Transparenz, Qualität, Improvisation, aber eben auch ein unbekümmerter Hang zur Perversion gehören zur Philosophie des »Industry Standard«, jetzt schon eine Speerspitze des »casual fine dining« in Berlin. Babys und Haustiere sind übrigens nicht willkommen. Und es lacht nur Bares.

hlb

Industry Standard, Sonnenallee 83, Mi – So ab 18 Uhr (Küche bis 23 Uhr), www.industry-standard.de, Facebook: IndustryStandardNK