Prügelei in der U-Bahn

»Importierter Antisemitismus« als Scheinargument

Das Jahr 2015 beginnt äußerst unschön für Shahak Shapiro, einen jungen Israeli, der seit Jahren in Deutschland lebt. Mit ein paar Freunden ist er in der Silvesternacht unterwegs zu einer Bar, die U-Bahn ist proppenvoll. Als eine Gruppe mutmaßlich arabisch-stämmiger Jugendlicher beginnt, antisemitische Parolen zu grölen, scheinen alle im Zug plötzlich Unmengen an SMS zu bekommen, keiner versucht auch nur empört auszusehen. Nur zwei Männer fordern die Gruppe auf, das Gerufe zu beenden und werden daraufhin bedrängt und eingeschüchtert. Shahak filmt das Ganze, was letztlich den Zorn der Jugendlichen auf ihn lenkt, und es kommt zur Schlägerei. Ohne sein Zutun gelangt alles an die Presse, und was danach passiert, ist erstaunlich: verschiedene Stellen nutzen das Ereignis für ihre Zwecke, und hauptsächlich wird die Gelegenheit ergriffen, um wieder einmal vom »importierten Antisemitismus« durch muslimische Migranten zu erzählen. Um diesem Phänomen auf den Grund zu gehen, organisierte die »Salaam-Schalom Initiative für ein friedliches Zusammenleben in Neukölln und darüber hinaus« eine offene Gesprächsrunde im »Neuköllner Leuchtturm«, an der neben Shapiro selbst die Kulturanthropologin Sultan Doughan und Hannah Tzuberi, wissenschaftliche Mitarbeiterin am »Institut für Judaistik« der FU teilnahmen. Die deutsche Gesellschaft und ihre Medien haben das Bedürfnis, Antisemitismus auf türkische und arabische Jugendliche zu schieben, so Tzuberi. So wird von der notwendigen Aus­einandersetzung mit dem weit verbreiteten »Kulturantisemitismus« abgelenkt, der nicht so offensichtlich zu Tage tritt wie einzelne Gewalttaten. Anders als es aus der Berichterstattung erscheint, werden über 90 Prozent der antisemitisch moti­vier­ten Straftaten von Rechts­extremen verübt, nicht von Muslimen.
Dass Antisemitismus ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, will niemand wahr haben. Und so werden Gewalttaten, wie die gegen Shapiro in ein falsches Licht gerückt. Denn er selbst sagt, anders als in der Presse zu lesen, dass er wegen des Filmens angegriffen wurde, nicht wegen seiner jüdischen Herkunft.
Interessant war, dass Redner und Mitdebattierende, ohne dass sie es merkten, einer seltsamen Ambivalenz unterlagen: mit der Intention, etwas Gutes zu tun und versteckte Vorurteile aufzudecken, wurde dennoch in denselben Kategorien gedacht und unbewusst alte Klischees bedient. Wir sollten also bei uns selbst beginnen, nach tiefliegenden rassistischen Para­digmen zu suchen, die vermeintlich immer nur die anderen haben.

jt